Gene - Schaltkreise - Verhalten
Hier geht's direkt zum Max Planck Zebrafish Brain Atlas
Der Mauszeiger weckt die Neugier der Fische, während ein Klick sie erschreckt
Die Forschung im Überblick
Nervenzellen, auch Neuronen genannt, bilden weitverzweigte Netzwerke, durch die Signale mit hoher Geschwindigkeit und in komplexen, sich ständig verändernden Mustern fließen. Das Endergebnis dieser Aktivität des Nervensystems ist die Erzeugung von Verhalten. Alle Sinneswahrnehmungen und jede koordinierte Bewegung, aber auch jedes Gefühl, jede Erinnerung und jeder Willen entstehen – auf beinahe magische Weise – aus dem geschäftigen Treiben von Abermillionen miteinander verknüpften Zellen. Das Ziel unserer Forschung ist es, zu verstehen, wie Nervenbahnen im Gehirn Sinneseindrücke in Verhaltensantworten umwandeln.
Wir sind ganz besonders am visuellen System interessiert und verwenden den Zebrafisch als unser Versuchsmodell. Zebrafischlarven sind winzige Wirbeltiere (nur ein paar Millimeter von Kopf bis Schwanz), aber sie sind begabte Jäger von noch kleineren Organismen. Wenn ein Pantoffeltierchen (Paramaecium) in das Gesichtsfeld des Fisches schwimmt, dann orientiert er sich zu ihm hin, verfolgt es und fängt es, indem er es in sein Mäulchen aufsaugt. Wir haben kürzlich entdeckt, dass ein beweglicher Punkt auf einem Miniatur-Bildschirm fast die gesamte Beutefang-Sequenz auslösen kann. Das Tier schwimmt los, um den wackelnden Punkt auf dem Bildschirm vor sich zu erwischen, quasi als “virtuelle Beute”. Wenn der Punkt auf dem Bildschirm sich aber nicht wie potenzielles Futter verhält, sondern sich vielmehr ausdehnt, so wie ein Objekt, das immer näher kommt, dann reagiert der Fisch ganz anders darauf: Er macht eine seitliche Fluchtbewegung, um die erwartete Kollision zu vermeiden. Ein drittes Verhaltensmuster, der optokinetische Reflex, wird ausgelöst, wenn das Gesichtsfeld von schwarzen und weißen Balken ausgefüllt ist, die sich um den Fisch herumbewegen. Dann folgen die Augen des Tieres ruckweise der Bewegung des Streifenmusters von einer Seite auf die andere. Spezifische visuelle Reize lösen also ganz bestimmte Verhaltensantworten aus. Wie unterscheidet das Gehirn zwischen diesen Schlüsselreizen und aktiviert die richtigen motorischen Programme?
Um diese Fragen experimentell anzugehen, wenden wir eine breite Palette von Methoden an. In all unseren Ansätzen nützen wir aus, dass Zebrafischlarven fast ganz lichtdurchlässig sind. Wir stellen transgene Tiere her, die genetisch kodierte Fluoreszenzindikatoren exprimieren, mit deren Hilfe wir dann Veränderungen der neuronalen Aktivität nachweisen können. Mit Zwei-Photonen-Mikroskopie können wir beobachten, wie Neuronen im Fischgehirn visuelle Reize verarbeiten und motorische Programme erzeugen. Es ist zu beachten, dass solches Imaging zwar nützliche Daten zur Lokalisation von Gehirnfunktionen liefert. Aber nur Perturbationsexperimente können eine Antwort auf die Frage geben, ob ein Teil des Nervensystems, also z. B ein neuronaler Zelltyp oder eine Gehirnregion, notwendig für ein bestimmtes Verhalten ist. Mit genetischen Tricks ersetzen wir deshalb häufig den fluoreszenten Indikator durch so genannte “optogenetische” Effektoren, wie z. B. Channelrhodopsin (ChR2), Halorhodopsin (eNpHR) und den lichtgesteuerten Glutamatrezeptor (LiGluR). Fokussierte Laserlichtpulse, die durch die Haut des intakten Tieres verabreicht werden, können dann Gruppen von Neuronen beliebig an- und ausschalten. Dieser Ansatz ermöglicht die optische Fernsteuerung des Nervensystems. Es ist denkbar, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft Beutefang alleine dadurch auslösen können, dass wir die Gehirnaktivität nachahmen, die normalerweise mit der Wahrnehmung eines Paramaeciums verknüpft ist, also auch in einem Fisch, der auf einen leeren Bildschirm schaut. Neuronale Schaltkreise können nur dadurch komplett verstanden werden, dass wir ihre Funktion durch direkte Stimulation rekonstituieren und nachweisen, welche Aktivitätskomponenten ausreichend fürs Verhalten sind.
Das Verknüpfungsmuster der Neuronen in jedem Bereich des Gehirns ist nicht zufällig, sondern hochspezifisch. Zwar ist die Zahl der Neurone immens groß. Aber dafür lassen sie sich einer überschaubaren Zahl von Typen zuordnen. Jeder neuronale Typ wiederum ist verknüpft mit einer begrenzten Zahl anderer Typen. Parallel zu unseren Arbeiten an der optischen Fernsteuerung von Verhalten entwickeln wir auch Methoden, um die molekularen Mechanismen aufzuklären, die der neuronalen Vielfalt und der synaptischen Spezifität im visuellen System zugrundeliegen. Zusammenfassend wollen wir erforschen, wie Gene neuronale Schaltkreise aufbauen und wie diese Schaltkreise dann Verhalten steuern.