Verkehrslärm beeinträchtigt das Gesangslernen von Vögeln

Lärm hemmt darüber hinaus das Immunsystem von Zebrafinken

Verkehrslärm führt bei Jungvögeln zu Ungenauigkeiten und Verzögerungen beim Erlernen ihres Gesangs. Die Jungvögel leiden auch unter einem unterdrückten Immunsystem, was ein Indikator für chronischen Stress ist. Die neue Studie von Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen zeigt, dass junge Zebrafinken genau wie Kinder besonders anfällig sind für die Auswirkungen von Lärm, weil er das Lernen in einer kritischen Entwicklungsphase beeinträchtigen kann.

Verkehrslärm ist eine allgegenwärtige Umweltbelastung, welche die Gesundheit und das Wohlbefinden von Millionen von Menschen beeinträchtigt. Neben schweren lärmbedingten Erkrankungen bei Erwachsenen wurde Verkehrslärm auch mit Lern- und Sprachdefiziten bei Kindern in Verbindung gebracht. 

Um die Zusammenhänge zwischen chronischer Lärmbelastung und kognitiven Defiziten zu analysieren, untersuchte ein Team von Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, der Universität Paris Nanterre und der Manchester Metropolitan Universität das Gesangslernen und die Immunfunktion von jungen Zebrafinken, die Verkehrslärm ausgesetzt waren. Wie Kinder müssen Singvögel ihre Laute in einer sensiblen Phase ihrer Entwicklung früh im Leben von erwachsenen Tutoren lernen. Die Gesänge der Finken werden unter normalen Bedingungen in einem Alter von etwa 90 Tagen stabil und bleiben dann für den Rest ihres Erwachsenenlebens gleich. Dieser Prozess wird "Kristallisation" genannt.

Für die Studie zogen die Forscher:innen männliche Zebrafinken-Küken in zwei Gruppen auf. Während ihrer sensiblen Gesangslernphase unterrichteten sie die Küken beider Gruppen mit dem aufgezeichneten Gesang erwachsener Männchen. In einer Gruppe wurde gleichzeitig Verkehrslärm abgespielt, wie er in Vogelhabitaten in der Nähe von stark befahrenen Straßen in München aufgezeichnet worden war. Die Wissenschaftler:innen überwachten die Gesangsaktivität der einzelnen Männchen und verglichen deren Gesangsentwicklung und Lernerfolg. Außerdem maßen sie die Immunreaktionen der Küken während ihrer Entwicklung. 

Die Analyse der Daten ergab, dass juvenile Zebrafinken, die städtischen Lärmpegeln ausgesetzt waren, schwächere Immunreaktionen aufwiesen als Küken aus ruhigen Nestern. Lärm scheint also eine Quelle für chronischen Stress bei diesen Jungvögeln gewesen zu sein. Darüber hinaus war die stimmliche Entwicklung der Vögel aus den lauten Nestern stark verzögert: Sie kristallisierten ihre Gesänge mehr als 30 Prozent später als die Kontrollgruppe und hatten eine wesentlich geringere Genauigkeit beim Gesangslernen. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass junge Singvögel genau wie menschliche Kinder besonders anfällig für die Auswirkungen von Lärm sind, weil dieser das Lernen in einem kritischen Entwicklungsstadium beeinträchtigen kann", sagt Henrik Brumm, der das internationale Forschungsprojekt leitete. 

Die Ergebnisse der Studie lassen sogar vermuten, dass Verkehrslärm die kulturelle Evolution des Vogelgesangs beeinflussen kann, da sich lärmbedingte Kopierfehler wahrscheinlich anhäufen, wenn der Gesang von einem Vogel zum anderen weitergegeben wird. "Unsere Arbeit markiert einen Durchbruch in der Erforschung der Auswirkungen von anthropogenem Lärm", schließt Sue Anne Zollinger vom Forschungsteam. "Sie zeigt, dass wir Lerndefizite durch Lärm anhand des Vogelgesangs experimentell untersuchen können". 

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