Des einen Freud ist des anderen Leid

Ein genetischer Konflikt zwischen den Geschlechtern fördert bei Kampfläufern die innerartliche Vielfalt

Kampfläufer zeichnen sich durch drei genetische Varianten aus, die bei den Männchen zu unterschiedlichem Aussehen und Balzverhalten führen. Die Auswirkungen auf Weibchen waren bisher unbekannt. Forschende am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz, in Gründung (i.G.), zeigen nun, dass Weibchen der sogenannten Faeder-Variante im Nachteil sind, da sie weniger Nachwuchs hervorbringen. Dies nützt jedoch den Faeder-Männchen: Als Weibchen getarnt, profitiert ihre Nicht-Auffallen-Taktik von der eigenen Seltenheit. Der gegensätzliche Effekt der Variante auf Männchen und Weibchen trägt somit zum Fortbestehen der Faeder bei. Damit gibt die Studie Einblicke in die Mechanismen, die Biodiversität erhalten.

Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist ein hochaktuelles Thema. Dabei denken wir meist an Artenvielfalt. Doch Biodiversität spielt sich nicht nur zwischen Arten ab: Auch innerhalb der Arten ist es ein weitverbreitetes Phänomen – betrachten wir zum Beispiel die vielfach ausgeprägten Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Kampfläufer (Calidris pugnax) sind ein besonders anschauliches Beispiel für innerartliche Diversität, die weit über die Geschlechtsunterschiede hinausgeht. Bei diesen Schnepfenvögeln werden die Männchen in drei sogenannte Morphe unterteilt, die sich im Aussehen und Verhalten voneinander unterscheiden: Kämpfer mit eher dunklen Federkrägen verteidigen aggressiv ihr kleines Schaurevier in einer Balzarena, um dort den Weibchen zu imponieren. Die etwas kleineren Satelliten-Männchen, erkennbar an helleren Federkrägen, balzen dagegen etwas friedlicher in Allianz mit Kämpfern. Besonders raffiniert sind die seltenen Faeder-Männchen: Sie sehen den Weibchen zum Verwechseln ähnlich und können sich deshalb unbemerkt in Balzarenen einschleichen.

Die drei Morphe sind rein genetisch bedingt. Vor etwa vier Millionen Jahren entstand im Erbgut der Kampfläufer durch eine Inversion ein 'Supergen': Ein DNA-Stück brach heraus und wurde umgekehrt wieder in das Chromosom integriert – die Geburtsstunde des Faeder Morphs. Die Region enthält circa 100 Gene und wird seitdem als funktionelle Einheit vererbt. Eine seltene Rekombination zwischen der ursprünglichen und der umgekehrten DNA-Region brachte anschließend die Satelliten hervor.

Interessanterweise liegt das Supergen nicht auf einem Geschlechtschromosom, so dass die unterschiedlichen genetischen Varianten auch in Weibchen vorkommen. Anders als bei den Männchen war jedoch wenig darüber bekannt, welche Auswirkungen diese auf die Weibchen haben. Ein internationales Team um Clemens Küpper am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz, i.G. und David Lank von der Simon Fraser University, hat nun den Fortpflanzungserfolg der weiblichen Morphe verglichen. Sie stellten fest, dass weibliche Faeder einen deutlich geringeren Fortpflanzungserfolg aufweisen. Faeder-Weibchen legen weniger und kleinere Eier. Zudem haben die Embryonen, sowie die aus den kleineren Eiern geschlüpften Küken geringere Überlebenschancen.

Trotzdem geht die Faeder-Variante in der Natur nicht verloren. Um dieser Kontroverse auf den Grund zu gehen, modellierten die Forschenden unterschiedliche Szenarien. So konnten sie zeigen, dass zum Erhalt der Faeder-Variante ein erhöhter Fortpflanzungserfolg der Faeder-Männchen notwendig ist.

„Das Faeder-Supergen bringt einen großen Nachteil für die Weibchen mit sich, für die Männchen dagegen ist es von Vorteil“, erklärt Lina Giraldo-Deck, Erstautorin der Studie. „Wir denken, dass genau dieser genetische Konflikt zwischen Männchen und Weibchen entscheidend zum Erhalt der Faeder-Variante beiträgt.“ Der geringe Fortpflanzungserfolg der Weibchen spielt nämlich den Männchen in die Karten: Je seltener sie sind, desto besser funktioniert ihre Nicht-Auffallen-Taktik.

Allerdings geht die Strategie der Faeder nur auf, da der Kämpfer-Morph genetisch sowie ökologisch das Grundgerüst stellt. Da die Genvarianten der Faeder und Satelliten allein nicht lebensfähig sind, besitzt jeder Kampfläufer mindestens eine Kämpfer-Variante. Zudem sind männliche Faeder auf die Balz der Kämpfer angewiesen und Faeder-Küken werden hauptsächlich von Kämpfer-Weibchen aufgezogen.

„Das Spannende ist, dass die Kämpfer-Männchen der Taktik der seltenen Faeder schutzlos ausgeliefert sind“, sagt Clemens Küpper. „Der extrem hohe Wettbewerb unter den Kämpfern hat zu immer größeren und aggressiveren Männchen geführt. Mittlerweile sind diese betriebsblind und in ihrem Konkurrenzkampf ausschließlich auf ähnlich aussehende Männchen fixiert. Das eröffnet Täuschungskünstlern wie den Faedern eine Nische, welche sie sehr effektiv nutzen.“ Das zeigt, dass es 'den Fittesten', der mit allen Herausforderungen zurechtkommt, nicht gibt. „Vielfalt setzt sich auch unter starkem Selektionsdruck durch. Das Hervorbringen von neuen Formen ist ein Prinzip allen Lebens“, merkt Clemens Küpper an.

Als nächstes möchten die Wissenschaftler*innen untersuchen, welchen Effekt die Supergen-Varianten in anderen Lebensstadien haben und wie die involvierten Gene die Physiologie der heranwachsenden Tiere beeinflussen – nur so, betonen die Forschenden, lassen sich die zugrundeliegenden, evolutionären Mechanismen in ihrer Gesamtheit verstehen.

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