Je aktiver die Fliege, desto schneller ihr Gehirn

Neurobiologen entdecken wichtige Eigenschaften des Bewegungsdetektors im Fliegenhirn

3. April 2017

Um auf Veränderungen in der Umgebung rechtzeitig reagieren zu können, muss das Gehirn die Signale, die es von den Augen erhält, schnell und präzise analysieren. So ist es zum Beispiel für den modernen Menschen in der Stadt überlebenswichtig, die Bewegungsrichtung eines sich nahenden Autos zu erkennen. Wie das Gehirn solche essentiellen Bewegungsinformationen erfasst, untersuchen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie im Gehirn der Fruchtfliege Drosophila. Nun haben sie die Zellen ausführlich beschrieben, die den nachgeschalteten Zellen das Erkennen von Bewegungen ermöglicht. Dabei zeigte sich, dass die Zelleigenschaften mit den Anforderungen eines neuen Bewegungsdetektor-Modells im Einklang stehen. Zudem veränderten die Zellen ihre Eigenschaften abhängig vom Zustand der Tiere: Ist die Fliege aktiv, antworteten die Zellen schneller auf Lichtreize.

Der Mensch erfasst seine Umwelt vor allem über die Augen. Dabei scheint es uns selbstverständlich, dass wir Bewegungen und ihre Richtung erkennen. Diese Informationen müssen jedoch erst im Gehirn berechnet werden, da die lichtempfindlichen Sinneszellen der Netzhaut nur Kontrastveränderungen registrieren. Erst aus dem Vergleich benachbarter Signale kann die Bewegungsrichtung errechnet werden. Wie diese Berechnungen aussehen, dazu gibt es unterschiedliche Modelle. Alexander Borst und sein Team am Max-Planck-Institut für Neurobiologie untersuchen, inwiefern sich diese Modelle auf den zellulären Schaltplan im Gehirn übertragen lassen. Ihr Untersuchungsobjekt ist die Fruchtfliege Drosophila, ein Meister des Bewegungssehens.

Im Gehirn der Fruchtfliege sind die sogenannten T4- und T5-Zellen die ersten Nervenzellen, die richtungsselektiv auf einen Bewegungsreiz antworten. Lange wurde angenommen, dass diese Zellen die Signale zweier benachbarter Bildpunkte im Blickfeld der Fliege miteinander vergleichen und so die Bewegungsrichtung berechnen. Dieses recht einfache Modell konnte jedoch nicht alle Messergebnisse der Neurobiologen erklären. „Unsere Abteilung entwickelte daraufhin ein Modell, bei dem drei anstatt zwei benachbarte Bildpunkte miteinander verglichen werden“, erläutert Alexander Arenz den Ausgangspunkt der aktuellen Studie. „Dieses Modell wollten wir mit den vorhandenen Zellen im Fliegenhirn testen.“ Eine neue anatomische Studie hatte zuvor gezeigt, dass sowohl T4- als auch T5-Zellen von jeweils vier verschiedenen Zelltypen ihre Eingangssignale erhalten. Ein Modell mit drei Eingangszellen schien somit plausibel.

In einer Art Fliegenkino präsentierten die Forscher den Fliegen verschiedene Lichtreize und zeichneten die Reaktionen der verschiedenen Eingangszelltypen auf. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Geschwindigkeit und Dauer, mit der die einzelnen Zellen auf Helligkeitsveränderungen reagierten, stark voneinander unterschieden. Um die Bedeutung dieser Unterschiede näher zu analysieren, ließen die Forscher die gemessenen Zelleigenschaften in eine Computersimulation des Netzwerks einfließen. Die Simulationen ergaben, dass die gemessenen Unterschiede zwischen den Zellen und die so entstehenden Verzögerungen, mit denen T4- und T5-Zellen ihre jeweiligen Signale erhalten, essentiell für das Erkennen einer Bewegungsrichtung sind. „Der Bewegungsdetektor mit drei Zellen funktioniert mit diesen Zellen somit sehr gut“, erklärt Michael Drews, einer der beiden Erstautoren der Studie. „Nun müssen wir nur noch herausfinden, wie die vierte Eingangszelle in diesem Schaltkreis mitmischt“, fügt er hinzu.

Um die Aufgaben der einzelnen Zellen noch weiter einzugrenzen, machten sich die Forscher zu Nutze, dass das Fliegenhirn visuelle Eindrücke schneller verarbeitet, wenn sich die Tiere bewegen. „Das ist eigentlich auch so zu erwarten, denn in Bewegung zieht die Umgebung ja viel schneller an den Augen vorbei“, erklärt Alexander Arenz. Um diesen Zustand im Fliegengehirn zu erzeugen, aktivierten die Wissenschaftler sogenannte Oktopamin-Rezeptoren, die unter natürlichen Bedingungen aktiviert werden, wenn sich die Tiere bewegen. Die Messungen zeigten, dass unter diesen "aktiven Bedingungen" die Eingangszellen schneller wurden und stärker auf höhere Bewegungsgeschwindigkeiten antworteten – und als Konsequenz auch die nachgeschalteten T4- und T5-Zellen.

„Die Ergebnisse demonstrieren eindrucksvoll, mit welcher Flexibilität sich die neuronalen Bewegungsdetektoren an den jeweiligen Verhaltenszustand des Tieres anpassen können“, resümiert Alexander Borst, der Leiter der Studie. Die Fruchtfliege kann auf diese Weise selbst dann noch Bewegungen in ihrer Umgebung zuverlässig wahrnehmen, wenn sie sich mit hoher Geschwindigkeit fortbewegt. Kein Wunder, dass Fliegen so schwer zu fangen sind.

SM/MSD

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