Wie Eltern ihre Pflichten aufteilen
Eltern müssen sich für die Betreuung ihres Nachwuchses abstimmen. Bei Watvögeln führt dies zu einer extremen und unerwarteten Vielfalt darin, wie sich Elternpaare um ihr Nest kümmern. Ein internationales Team unter der Leitung von Max-Planck Wissenschaftlern fand heraus, dass sich einige Paare fast stündlich beim Brüten abwechselten, während bei anderen ein Elternteil bis zu 50 Stunden auf dem Nest sitzen blieb. Die Vielfalt dieser Brutrhythmen entsteht laut der Studie weniger durch das Risiko, zu verhungern, sondern vielmehr durch das Risiko, gefressen zu werden. Überraschenderweise folgt der Rhythmus der Nestfürsorge oft nicht dem 24-Stunden-Tag.
Wie auch beim Menschen investieren bei vielen Vogelarten beide Elternteile in die Aufzucht des Nachwuchses und die Partner müssen sich in ihren Aktivitäten abstimmen. Verhaltensrhythmen, die durch eine solche soziale Synchronisation entstehen, wurden bisher noch kaum erforscht, vor allem nicht in freilebenden Populationen. Nun hat eine internationale Gruppe aus 76 Wissenschaftlern untersucht, wie sich Watvogeleltern die Zeit auf dem Nest aufteilen, um ihre Eier auszubrüten. Es ist eine besonders sensible Phase für die Abstimmung zwischen den Partnern, da die Eier nicht lange alleine gelassen werden können. Sie würden sonst entweder gefressen werden oder zu sehr auskühlen bzw. überhitzen. Unter der Leitung von Bart Kempenaers und seines Doktoranden Martin Bulla vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen wurden Daten aus 91 Populationen und 729 Nestern von gemeinsam brütenden Watvögeln ausgewertet.
Die Studie konnte großräumig angelegt werden, da die Brutaktivitäten an vielen Orten mittels eines automatisierten Systems beobachtet wurden. „Wir erkannten, dass viele Watvogel-Forscher relevante Daten für uns sammelten, ohne es geplant zu haben“, sagt Martin Bulla, Erstautor der Studie. Die Wissenschaftler verwendeten lichtempfindliche Datenlogger, um die Wanderrouten der Watvögel zu bestimmen. Da die Logger am Bein befestigt werden und kontinuierlich das Umgebungslicht messen, meldeten sie Dunkelheit, wenn der Vogel tagsüber mit seinen Beinen unter dem Bauch auf dem Nest saß. „Mit diesen Daten konnten wir die Brutaktivitäten messen, sogar für Vogelpaare, die wir nicht vor Ort beobachtet haben,“ so Bulla.
Die Wissenschaftler fanden große Unterschiede im Brutverhalten innerhalb einer Art und zwischen den Arten, sogar wenn diese im selben Gebiet brüteten. Einige Paare wechselten sich bis zu 20 Mal am Tag beim Brüten ab, bei anderen wiederum saß ein Elternteil 24 Stunden oder sogar bis zu 50 Stunden ununterbrochen auf dem Nest. Die durchschnittliche Dauer einer Brutsitzung war dabei unabhängig vom energetischen Bedarf der Tiere, jedoch abhängig vom Risiko, gefressen zu werden. Arten, die in ihrer Umgebung gut sichtbar waren, saßen nicht so lange auf dem Nest wie kryptische Arten. Wahrscheinlich profitieren diese von längeren Brutsitzungen, da nur bei der Übergabe an den Partner Aktivität rund um das Nest entsteht, die dessen Ort an potentielle Fressfeinde verraten könnte.
Die Verhaltensrhythmen, die sich aus diesen Brutsitzungen ergaben, waren dadurch sehr unterschiedlich. Eigentlich ist der 24-Stunden-Tag-Nacht-Zyklus der typische Zeitgeber. In den Sommermonaten jedoch, wenn die meisten Watvögel brüten, verschwinden mit zunehmendem Breitengrad die 24-Stunden-Licht-Dunkel Bedingungen, bis hin zum arktischen Dauertag. Es ist bekannt, dass Tiere andere, subtilere Zeitgeber wie Lichtqualität oder Temperatur nutzen, dennoch wurden die Brutmuster weiter nördlich tatsächlich variabler und folgten weniger wahrscheinlich einem 24-Stunden Rhythmus. Allerdings gab es weiter südlich mit dunklen Nächten ebenfalls Brutrhythmen, die sich dem Tag-Nacht-Rhythmus entzogen und auch unabhängig von Gezeiten waren, obwohl viele Watvögel im Wattenmeer Nahrung suchen.
Die Rhythmen scheinen also danach festgelegt zu werden, wie die beiden Elternteile ihre Brutpflichten koordinieren. Elterliche „Entscheidungen“ könnten dadurch bestimmt werden, wie die beiden inneren Uhren miteinander synchronisieren. „Es klingt vielleicht trivial“, sagt Bart Kempenaers, Leiter der Studie und Direktor in Seewiesen, „aber die Tatsache, dass zwei Individuen beteiligt sind mit ihrem jeweiligen eigenen Rhythmus könnte zu einer Synchronisation des Paares führen, die unabhängig ist von anderen Paaren der gleichen Art.“ Aber wie funktioniert diese Synchronisation? Drängt das eine Elternteil dem anderen seinen Rhythmus auf oder finden sie einen gemeinsamen Kompromiss? Vielleicht wissen die hier lesenden Eltern eine Antwort.