Hormonschwankungen als Überlebensvorteil?
Kohlmeisen zeigen, wie sich Vögel an Temperaturveränderungen anpassen
Bei freilebenden Kohlmeisen gibt es zwischen Individuen große Unterschiede in der Menge an Stresshormonen im Blut. Ein mehrjähriges Forschungsprojekt am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz (in Gründung) konnte erstmals zeigen, dass die Blutwerte von Glukokortikoidhormonen der Vögel bei Änderungen der Umgebungstemperatur unterschiedlich stark schwanken. Diese Variabilität kann es Vogelpopulationen erleichtern, sich an Veränderungen der Lebensbedingungen anzupassen – wie zum Beispiel an häufigere Temperaturextreme infolge des Klimawandels.
Hormone steuern zentrale Funktionen des Körpers, auch bei Vögeln. Sie helfen bei der Regulierung von Stoffwechsel und Nahrungsaufnahme und unterstützen den Körper darin, eine gewisse Körpertemperatur einzuhalten. Glukokortikoide zählen zu den Stresshormonen und koordinieren als Botenstoffe viele dieser Anpassungen. Bei niedrigen Temperaturen werden sie vermehrt produziert und erleichtern dem Körper so den Abbau von Kohlehydrat-, Fett- und Proteinreserven, um Wärme zu erzeugen. Bei höheren Temperaturen sinkt der Glukokortikoidspiegel und damit auch die Umwandlung von Energie in Körperwärme.
Je stärker die Umgebungstemperatur schwankt, desto wichtiger wird die Stabilisierung der Körpertemperatur durch Hormone. Insbesondere kleine gleichwarme Tiere wie Vögel müssen sich an Temperaturschwankungen schnell anpassen, um ihre Körpertemperatur beizubehalten. Im Zuge des Klimawandels kommt es in vielen Lebensräumen zu großen Veränderungen, unter anderem häufiger zu Extremtemperaturen. Doch wie stark wird der Hormonhaushalt von Vögeln vom Klima beeinflusst? Und unterscheiden sich Individuen in ihrer Reaktion auf Klimaveränderungen?
Um diese Fragen zu klären, müssen Daten über mehrere Jahre gesammelt werden, sodass natürliche Schwankungen erfasst werden. Forschungsgruppenleiterin Michaela Hau und zwei Kolleginnen haben daher über fünf Jahre den Glukokortikoidspiegel derselben Kohlmeisen einer Population in Oberbayern bestimmt. Die Messwerte setzten sie in Bezug zur Außentemperatur. Dabei fanden die Wissenschaftlerinnen heraus, dass es bei den Kohlmeisen wie erwartet zu Anpassungen der Hormonspiegel an die Umgebungstemperatur kam. Jedoch gab es bei gleicher Temperatur auch große Unterschiede zwischen den einzelnen Tieren.
„Wir konnten zum ersten Mal bei freilebenden Wirbeltieren beobachten, dass manche Tiere eine stärker ausgeprägte Anpassung der Glukokortikoidwerte an die Umwelttemperatur haben als andere“, sagt Michaela Hau. „Dieser Variantenreichtum kann es der Population als Ganzes ermöglichen, auf eine größere Bandbreite von Veränderungen zu reagieren.“ Weitere Untersuchung müssen nun zeigen, ob die variablen Blutspiegel der Glukokortikoide zu Unterschieden in der Wärmeproduktion oder Wärmeisolation führen. Auch ist noch unklar, ob die Variabilität mit einem erhöhten Fortpflanzungs- oder Überlebenserfolg einhergeht.
„Wenn es eine erbliche Komponente gibt und Individuen mit bestimmten Hormonveränderungen einen Vorteil bei der Fortpflanzung oder beim Überleben haben, dann kann die natürliche Selektion zu einer veränderten Zusammensetzung der Population in folgenden Generationen führen“, erklärt Michaela Hau. „Unsere Arbeit ist daher eine wichtige Grundlage um zu verstehen, ob und wie sich Tiere an Klimaveränderungen anpassen können.“