Asymmetrie als Baustein neuronaler Informationsverarbeitung

Struktur und Funktion von Nervenzellen sind in der Großhirnrinde eng miteinander verknüpft

Eine der ältesten Fragen in den Neurowissenschaften ist, wie die Funktion einer Nervenzelle mit ihrer Struktur und räumlichen Verschaltung zusammenhängt. Forscher am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz, in Gründung (i.G.) haben nun in der visuellen Großhirnrinde der Maus dazu neue Einblicke gewonnen: Die Zellen in diesem Hirnbereich reagieren auf eine bestimmte Orientierung oder Bewegung eines Objekts. Nun zeigt sich, dass sowohl die Struktur solcher Nervenzellen, als auch die Anordnung ihrer Verbindungspartner dies widerspiegelt. Dabei können vor allem asymmetrische Strukturen die Objektwahrnehmung entscheidend beeinflussen.

Um uns in der Umwelt zurechtzufinden und auf potenzielle Gefahren reagieren zu können, müssen wir Formen und Bewegungen erkennen und verarbeiten können. Optische Signale gelangen dabei von unserer Netzhaut in die visuellen Zentren der Großhirnrinde. Dort werden die Signale von Nervenzellen wie den sogenannten Pyramidenzellen weiterverarbeitet.

Die einzelnen Nervenzellen reagieren dabei auf verschiedene Aspekte unserer visuellen Umgebung, wie zum Beispiel die Orientierung oder die Bewegung eines Objektes. Die Verschaltung und Kommunikation zwischen diesen Nervenzellen gewährleistet schlussendlich einen einheitlichen Bildeindruck.

Unklar ist allerdings immer noch, wie die Struktur und Einbettung in das Netzwerk die Funktion einzelner Nervenzellen beeinflusst. Gibt es bei der Objektwahrnehmung ein Zusammenspiel zwischen der Struktur und der Funktion einer Zelle?

Neurobiologen um Volker Scheuss aus der Abteilung von Tobias Bonhoeffer konnten nun neue Einblicke in die Beziehung von Funktion, Form und Verschaltung auf Ebene einzelner Nervenzellen gewinnen. Dazu kombinierten die Forscher modernste Methoden: Zunächst untersuchten sie mit Hilfe eines Zwei-Photonen-Mikroskops die Orientierungs- und Richtungsselektivität von bestimmten Pyramidenzellen in der visuellen Großhirnrinde der Maus. Anschließend identifizierte das Forscherteam die gleichen Nervenzellen in Gewebeschnitten, untersuchte sie bezüglich ihrer Form und kartierte ihre Verschaltung mit anderen Nervenzellen.

Mit dem resultierenden Datensatz war es nun möglich, das Antwortverhalten der Pyramidenzellen direkt mit der Struktur und Anordnung ihrer Dendriten – der Zellfortsätze, die Informationen von anderen Nervenzellen empfangen – in Verbindung zu setzen. Zudem konnten die Forscher analysieren, wie die Verbindungspartner der Pyramidenzellen räumlich angeordnet sind und dies mit dem Antwortverhalten vergleichen.

Dabei stellten die Erstautoren Simon Weiler und Drago Guggiana Nilo zwei wichtige Beziehungen fest. Zum einen spiegelt bei Nervenzellen, die stark auf eine bestimmte Objektorientierung anspringen, die Anordnung ihrer Dendriten im Gehirn diese Präferenz wider. Dabei ist der Großteil des Dendritenbaums nicht symmetrisch angeordnet, sondern asymmetrisch entlang der bevorzugten Orientierung der Zelle.

Zum anderen fanden die Neurobiologen heraus, dass auch die räumliche Anordnung der Verbindungspartner asymmetrisch ist. Dies hing direkt mit der Richtungsselektivität der Pyramidenzellen für Objektbewegungen zusammen: Die Verbindungpartner waren vermehrt auf der Seite der Zelle zu finden, die entgegen der bevorzugten Richtung lag. Interessanterweise war die Stärke der Asymmetrie direkt mit der Stärke der Richtungsselektivität gekoppelt. Je selektiver eine Nervenzelle auf eine Richtung reagierte, desto asymmetrischer waren ihre Verbindungspartner angeordnet.

Damit zeigt die Studie, wie stark Funktion und Struktur im Gehirn miteinander verwoben sind. Asymmetrische Strukturen scheinen sowohl auf Ebene einzelner Zellen, als auch auf Netzwerkeben dabei wichtige Bausteine neuronaler Informationsverarbeitung zu bilden.

 

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