Vogelzug: Amseln schalten schlagartig auf Nachtschwärmer um

Die normalerweise tagaktiven Vögel brauchen für die Änderung ihres Biorhythmus vor dem Abflug in ihre Winterquartiere keine Zeit zur Anpassung

Jedes Jahr brechen Milliarden von Singvögeln im Herbst nachts zu ihrem Flug in ihr Winterquartier auf. Dafür müssen die tagaktiven Tiere ihren Biorhythmus wechseln. Bislang gingen die Forscher davon aus, dass sich die Vögel allmählich umstellen. Mit neuer Technik konnten Forscher des Max-Planck-Institutes für Ornithologie in Radolfzell zusammen mit internationalen Partnern das Abflugverhalten von Amseln in freier Natur beobachten. Dabei stellten sie fest, dass die Vögel abrupt direkt vor dem Abflug von Tag- auf Nachtaktivität umstellen.

In tiefer Nacht auf Reisen gehen zu müssen, fällt den meisten Menschen schwer. Wenn sich tagaktive Singvögel wie die Amseln (Turdus merula) in den Herbstnächten auf die weite Reise in wärmere Gefilde machen, müssen auch sie zu ungewohnter Zeit aktiv werden: Sie brechen bei sternenklarem Nachthimmel zwischen Dämmerung und Mitternacht auf. Dafür müssen die Zugvögel ihren Tages- auf einen Nachtrhythmus umstellen. „Doch wie machen die Tiere das? Werden die Vögel über eine längere Zeit hinweg immer unruhiger oder erst dann, wenn sie losfliegen?“, sagt Jesko Partecke vom Max-Planck-Institut für Ornithologie.

Lange Zeit konnten Ornithologen das Zugverhalten nur an Vögeln in Gefangenschaft untersuchten. Bei solchen Messungen stellte sich heraus, dass die Vögel während der Zugphasen im Herbst und Frühjahr nachts ungewöhnlich unruhig sind, hin und her hüpfen und aufgeregt herumflattern. „Bislang galt das als Zeichen, dass die Vögel motiviert sind zu ziehen“, so Partecke.

Zugunruhe ist schwer zu interpretieren

Aber eines konnten sie nicht wissen: “Vögel im Käfig können aber nicht wegfliegen. Damit ist der genaue Abreisetag nicht wirklich zu ermitteln.“ Ob der graduelle Anstieg der Zugunruhe bei den Vögeln in Gefangenschaft tatsächlich eine Einstimmung auf die große Reise darstellt, ließ sich deshalb nicht sicher sagen.

Diese Frage ließ sich nur mit wilden Vögeln im Freiland beantworten. Die Aktivität von Singvögeln in freier Wildbahn konnten Forscher jedoch bis vor kurzem nicht kontinuierlich messen. Die Technik war zwar vorhanden, aber sie war für die kleinen Vögel zu groß, zu schwer und konnte nicht genügend Daten speichern.

Mit der Miniaturisierung von Radio-Telemetrie-Geräten konnten die Ornithologen jetzt diese Lücke schließen. Auf dem Rücken der Vögel befestigten sie die 2 Gramm schweren Geräte wie mit einer Art Rucksack. Ein Teil dieser Vögel wird auf den Vogelzug gehen und ein anderer verbleibt den Winter am Standort. Durch ihre Messung haben die Forscher festgestellt, dass sich die Tag- und Nachtaktivitäten zwischen Standort- und Zugvögeln von einer Amselpopulation in den Tagen vor der Abreise nicht unterscheiden. Außerdem zeigten Amseln unter natürlichen Bedingungen keine Zugunruhe vor ihrem Abflugtag im Herbst. Sie schalten ihren Lebensrhythmus vielmehr abrupt vor dem Abflug um. „Die Amseln starten von einem Tag auf den anderen durch, von null auf hundert: Plötzlich müssen sie nachts los und die folgenden Nächte durchmachen. Dabei sind es eigentlich tagaktive Vögel“, sagt Jesko Partecke.

Auf dem Weg nach Südfrankreich

Als nächstes will er herausfinden, welche Route die Amseln wählen. Momentan ist es wieder so weit: Ein Teil der mitteleuropäischen Amseln zieht wieder nach Südfrankreich. Diesmal reist Partecke hinterher – mit den ziehenden Amseln über sich am Himmel. Als Reisegepäck tragen die Vögel diesmal Luftdrucksensoren, mit der der Forscher die Flughöhe bestimmen kann. „Die Sensoren sollen uns verraten, wie hoch die Amseln fliegen. Fliegen sie über die Berge oder machen sie um sie einen Bogen?“

Eines weiß er allerdings jetzt schon: Es werden mehr Weibchen dabei sein, denn die sind reiselustiger als ihre männlichen Kollegen. Die bleiben mehrheitlich zuhause.

KE/HR

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