Kampfläufer zeigen, wie Verhaltensvielfalt bewahrt werden kann
Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
Kampfläufern beruht ein bedeutender Teil dieser Vielfalt auf genetischen Varianten, welche unterschiedliche Auswirkungen auf Männchen und Weibchen haben.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist eine der großen Herausforderungen der heutigen Zeit. Biologische Vielfalt ist aber kein rein zwischenartliches Phänomen. Arten selbst sind vielfältig, man denke dabei nur an die oft stark ausgeprägten Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Einige Arten haben aber noch mehr zu bieten und zeichnen sich z.B. durch komplett unterschiedliche Erscheinungsformen aus. Um Biodiversität besser zu verstehen, ist es daher wichtig zu ergründen, wie Vielfalt innerhalb von Arten entsteht, was sie auszeichnet und durch welche Mechanismen sie erhalten bleibt.
Kampfläufer-Männchen besitzen unterschiedliche Gestalttypen
Eine seltsame Vogelart, der Kampfläufer (Calidris pugnax), liefert zu diesen Fragestellungen neue Erkenntnisse. Kampfläufer zeichnen sich durch besonders ausgeprägte Größenunterschiede zwischen Männchen und Weibchen aus: Die Männchen sind teilweise mehr als doppelt so schwer wie die Weibchen. Als treibende Kraft in der Ausbildung dieser Unterschiede gilt dabei der extrem hohe Wettbewerb zwischen Männchen um den Fortpflanzungserfolg. Aber auch innerhalb der Geschlechter gibt es eine erstaunliche Vielfalt. So finden sich bei den Männchen drei verschiedene Gestalttypen, sogenannte Morphen: Männchen mit dunklerem Hochzeitskleid sind die aggressiven "Kämpfer", die kleine Territorien in Balzarenen verteidigen. Diese Territorien sind reine Schauplätze für die Balz der Männchen, und die Weibchen wählen unter den Kämpfern bevorzugt denjenigen, der am ausdauerndsten und dominantesten balzt. Ein zweiter Typ von Männchen, "Satelliten" genannt, unterscheidet sich von den Kämpfern im Aussehen durch ausgeprägt helle Gefiederornamente. Satelliten verteidigen kein eigenes Territorium, sondern bilden stattdessen zusammen mit einem Kämpfer eine kooperative Balzgemeinschaft. Solche Allianzen zwischen subdominantem Satelliten und dominantem Kämpfer sind ungemein erfolgreich. Und dann gibt es noch einen dritten Morph, "Faeder" genannt, der sehr selten ist und vollkommen auf den typisch männlichen Gefiederschmuck verzichtet. Faeder imitieren Weibchen, um heimlich in den Brutarenen zur Paarung zu kommen (Abb. 1).
Ein Supergen manifestiert innerartliche Vielfalt
Interessanterweise sind die Unterschiede zwischen den Kampfläufer-Morphen rein genetisch bedingt. Die drei Morphen unterscheiden sich in einer einzigen genomischen Region, welche bei Satelliten und Faeder durch eine Mutation invertiert ist, das heisst, die Region ist in ihrer Basenabfolge um 180 Grad gedreht. Sie beinhaltet ca. 100 Gene und bildet ein sogenanntes „Supergen“ [1]. Die Merkmalsausprägungen innerhalb dieses Supergens werden aufgrund der geringen Rekombinationsraten zwischen den verschiedenen Varianten gemeinsam vererbt. Dabei spielen einzelne Steroid-Gene, die durch die Inversionsvarianten unterschiedlich beeinflusst werden, für die sichtbaren Unterschiede vermutlich eine besondere Rolle [2]. Die Männchen-Typen unterscheiden sich nämlich nicht nur in Verhaltensunterschieden, sondern auch in ihren Hormonspiegeln [1;3].
Experimente mit balzenden Männchen zeigen, dass sich ihre hormonelle Regulierung stark unterscheidet. Die aggressiven Kämpfer haben während der Balzzeit hohe Testosteronspiegel, während man im Blut von Satelliten und Faedern nur geringe Mengen von Testosteron finden kann. Experimente mit erwachsenen Männchen haben gezeigt, dass Faeder und Satelliten nicht in der Lage sind, große Mengen vonTestosteron zu bilden [3].
Die Supergen-Varianten wirken bei den Geschlechtern unterschiedlich
Die Unterschiede zwischen den Morphen treten bei den erwachsenen Männchen am deutlichsten zutage (Abb. 1). Da die genetischen Veränderungen allerdings nicht auf einem Geschlechtschromosom erfolgen, sondern auf einem Chromomsom beider Geschlechter, wirken sie sich auch auf die Weibchen aus. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass dies zur Regulation der innerartlichen Vielfalt beiträgt [4]. Vergleicht man den Fortpflanzungserfolg der Weibchen, zeigt sich, dass insbesondere Faeder-Weibchen im Vergleich zu Kämpfer-Weibchen permanent im Nachteil sind. Unter kontrollierten Bedingungen legen Faeder-Weibchen weniger und kleinere Eier als Satelliten- bzw. Kämpfer-Weibchen (Abb. 2). Auch nach der Eiablage hat es der Nachwuchs von Faeder-Weibchen besonders schwer: Embryonen in den Eiern der Faeder-Weibchen sterben besonders häufig, und Küken, die aus kleineren Kampfläufereiern schlüpfen, haben allgemein geringere Überlebenschancen. Faeder-Weibchen haben somit im Vergleich zu Kämpfer-Weibchen einen sehr viel geringeren individuellen Fortpflanzungserfolg [4]. Da Kämpfer-Weibchen sehr viel häufiger in natürlichen Populationen vorkommen als Faeder-Weibchen (Abb. 2), beruht die überwältigende Mehrheit des Faeder-Morphs auf Paarungen zwischen Kämpfer-Weibchen und Faeder-Männchen. Faeder-Weibchen hingegen tragen wenig zur Erhaltung ihres Morphs bei.
Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Faeder-Variante in naher Zukunft ausstirbt. Denn der geringe Fortpflanzungserfolg der Faeder-Weibchen ist für die Faeder-Männchen von Vorteil: Ihre Fortpflanzungstaktik „Täuschung und Nicht-Auffallen-in-der-Masse“ ist erfolgreicher, wenn sie selten sind. Die Modellierung unterschiedlicher Fitnessparameter zeigt, dass höherer Fortpflanzungserfolg durch individuelle Faeder-Männchen vermutlich den schlechten Erfolg der Weibchen am besten ausgleichen kann. Die Wechselwirkungen zwischen Genvarianten und Geschlechtern spielen daher bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt eine wichtige Rolle.