Akustische Tarnkappen und gespitzte Ohren
Forschungsbericht (importiert) 2018 - Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
Sinnessysteme sind unser Zugang zur Welt. Dabei basieren die Interaktionen zwischen Fledermäusen und Insekten in einem evolutionären Wettrüsten als Räuber und Beute ausschließlich auf akustischer Information. Mit Mikrofonsystemen beobachten wir im Labor und Freiland, welche Informationen und sensorische Strategien Fledermäuse nutzen, um Insekten zu jagen. Manche Fledermausarten sind als Antwort auf die Verteidigungsstrategien ihrer Beute mit einer Art akustischen Tarnkappe ausgestattet, andere wiederum horchen nach den Geräuschen ihrer Beute oder hören die Jagdlaute anderer Fledermäuse ab.
Einleitung
Wie nehmen Tiere Informationen aus ihrer Umwelt wahr und leiten daraus sinnvolles Verhalten ab? Diese Aufgabe übernehmen die Sinnessysteme und das Gehirn. Reize aus der Umwelt werden von den Sinnessystemen an das Gehirn übermittelt, wo sie selektiert, bewertet und in Motorbefehle übersetzt werden, um angepasst handeln zu können. Da Nahrungssuche und Räubervermeidung für alle Tiere von immenser Wichtigkeit sind, lassen sich sensomotorische Strategien anhand der Interaktionen von Räubern und Beute hervorragend untersuchen. Die reziproke Dynamik zwischen Räuber und Beute führte auf beiden Seiten zur Evolution diverser Anpassungen zur Optimierung von Jagd und Flucht. Sinnessysteme spielen dabei eine Schlüsselrolle: Räuber und Beute müssen sich zuerst gegenseitig wahrnehmen, erkennen und lokalisieren, bevor sie entsprechendes Verhalten auslösen können. Auf der anderen Seite nutzen beide Seiten sensorische Strategien, um diese Wahrnehmung zu verhindern, z.B. verschiedene Arten der Tarnung. Während visuelle Strategien gut untersucht sind, weiß man über die akustischen Strategien der Räuber-Beute-Koexistenz noch sehr wenig.
Schall macht Unsichtbares wahrnehmbar
Akustische Kommunikation ist weitverbreitet, z.B. im Gesang der Vögel oder Insekten zur Partnerwahl und Revierverteidigung. Eulen, insektenfressende Affen und viele andere Räuber nutzen solche Rufe und andere Geräusche ihrer Beute, um diese zu finden. Schall hat den großen Vorteil, dass er von einer externen Lichtquelle unabhängig ist. Daher verlassen sich viele nachtaktive Tiere auf ihren Gehörsinn. Eine besondere Anpassung ist die Echoortung, mit der sich Zahnwale, manche Vögel und die Fledermäuse im Dunkeln orientieren. Da viele Fledermäuse Insekten jagen, entwickelten sich bei vielen Insekten im Laufe der Evolution mehrfach unabhängig voneinander Hörorgane. Viele Insekten hören somit die Echoortungslaute der jagenden Fledermäuse und reagieren mit schnellen Ausweichmanövern.
Jagen mit Schall
Welche Anpassungen an die Beutejagd gibt es aber auf Seiten der Fledermäuse? Um dies zu untersuchen, haben wir Nachtfalter an einer Angelschnur befestigt und mit jagenden Mopsfledermäusen zusammengebracht. Mit einem Miniaturmikrofon direkt neben dem Nachtfalter konnten wir die Rufe der Mopsfledermaus aufnehmen. Mit vier weiteren Mikrofonen rekonstruierten wir die dreidimensionale Flugbahn der Fledermaus und damit ihr Angriffsverhalten und den Abstand zum Nachtfalter. Dabei zeigte sich, dass die Mopsfledermaus zehn Mal leiser ruft als andere Fledermäuse [1], und ihre Lautstärke noch weiter verringert, sobald sie ihre Beute wahrgenommen hat [2]. Dadurch hört der Nachtfalter nur sehr leise Echoortungslaute, die auch leise bleiben, während die Fledermaus näherkommt. Diese geringe Lautstärke reicht nicht aus, um eine Ausweichreaktion im Nachtfalter auszulösen. Die Mopsfledermäuse haben also eine Art akustische Tarnkappe entwickelt und sind dadurch äußerst erfolgreiche Nachtfalterjäger. Diese geringe Lautstärke ist erstaunlich, da Mopsfledermäuse in schnellem Flug im Wald und entlang von Vegetationskanten jagen. Durch ihre leisen Rufe können sie Hindernisse jedoch erst spät erkennen – sie nutzen gewissermaßen nur eine Kerze anstelle einer Taschenlampe zur Orientierung.
Hufeisennasen (Rhinolophidae) sind eine Gruppe von Fledermäusen, welche ebenfalls eine besondere Jagdstrategie nutzen und dafür hochspezialisierte morphologische und neuronale Anpassungen besitzen. Zur Echoortung nutzen sie lange Pfeiftöne mit konstanter Frequenz. Ähnlich der Funkfrequenz eines Radiosenders transportiert das Echo dieser Töne Informationen, die durch den Flügelschlag ihrer Beute erzeugt werden. Hufeisennasen können damit flügelschlagende Beute innerhalb eines dichten unbewegten Blättergewirrs entdecken. Nachtteilig ist jedoch auch hier die geringe Reichweite: Beute, die sich nicht innerhalb des Schallkegels befindet, ist für Fledermäuse „unsichtbar“. Wir konnten mit unserer Forschung zeigen, dass Hufeisennasen trotz ihrer Spezialisierung auf das Wahrnehmen von Flatterechos äußerst empfindlich auf von der Beute erzeugte Raschelgeräusche reagieren [3]. So wie wir unseren Blick hin zur knisternden Chips-Tüte richten, schwenken Hufeisennasen ihre Schallkeule hin zu Beutegeräuschen. Trotz spezialisierter Echoortung nutzen Hufeisennasen also auch weiterhin das evolutionär ältere passive Hören, und kombinieren akustische Signale, die von der Beute ausgehen, mit selbst erzeugten Echos.
Sogar die Echoortungslaute andere Fledermäuse sind eine vielseitige Informationsquelle. Da Fledermäuse beim Angriff auf ein Insekt die Zahl der Laute pro Zeiteinheit erhöhen, hören andere Fledermäuse, wo sich ertragreiche Nahrungsstellen befinden. Tatsächlich nutzen Fledermäuse diese Information kontinuierlich und über Artgrenzen hinweg: Je nachdem, welche Art ruft, wie viele Artgenossen auch noch da sind, und wie viel Beute vorhanden ist, reagieren die Fledermäuse unterschiedlich [4]. Und am stärksten reagieren Arten, deren Nahrung nur kurzfristig und lokal verfügbar ist, so dass sich die Jagd in der Gruppe lohnt [5].
Wie reagieren die Insekten?
Aktuell untersuchen wir ebenfalls, wie Insekten auf die Angriffe ihrer hochspezialisierten Jäger reagieren. Es scheint, als unterscheide sich das Ausweichverhalten der Nachtfalter von Art zu Art. Diese Unberechenbarkeit für die Fledermäuse würde wiederum den Räuberschutz für jeden Falter erhöhen. Selbst der Gesang mancher Heuschrecken, der neben paarungsbereiten Weibchen auch Fledermäuse anlockt, scheint akustische Anpassungen aufzuweisen, um die Echoortung und damit die Orientierung von Fledermäusen zu stören. Mit welchen „Tricks“ Fledermäuse wiederum reagiert haben, wird die nächste spannende Frage sein in der Untersuchung des sensorischen Wettstreits zwischen Räubern und Beute.
Literaturhinweise
Current Biology 20 (17), 1568 - 1572 (2010)
Functional Ecology 32 (5), 1251 - 1261 (2018)
The Journal of Experimental Biology 221 (8), jeb165696 (2018)
Current Biology 28 (22), 3667 - 3673 (2018)