Gedächtnisbildung im Fliegenhirn

Forschungsbericht (importiert) 2009 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie

Autoren
Knapek, Stephan; Busch, Sebastian; Aso, Yoshinori; Friedrich, Anja; Siwanowicz, Igor; Yarali, Ayse; Galili, Dana; Tanimoto, Hiromu
Abteilungen
Max-Planck-Forschungsgruppe von Hiromu Tanimoto
Zusammenfassung
Fliegen können lernen, sich auf einen bestimmten Geruch hinzubewegen oder sich von ihm abzuwenden. Hiromu Tanimoto und die Mitarbeiter seiner Max-Planck-Forschungsgruppe am MPI für Neurobiologie in Martinsried wollen verstehen, wie die Verknüpfung von Gerüchen und Verhaltensweisen im Gehirn der Fliege entstehen und wie diese Erinnerungen das Verhalten auslösen. Um ihr Ziel zu erreichen, setzen die Wissenschaftler verschiedenste Methoden aus den Bereichen der Genetik, Verhaltensbiologie, Anatomie und Theorie ein.

Umweltbedingungen können sich ändern. Tiere, die ihr Verhalten an eine veränderte Umgebung anpassen können, sind daher klar im Vorteil. Beispielsweise kann ein Tier aus vergangenen Erfahrungen lernen und so sein Verhalten entsprechend ändern. Um solch eine Verhaltensanpassung aufgrund von Erfahrungen zu ermöglichen, müssen sich Nervenzellen im Gehirn untereinander vernetzen. Diese Vernetzung zu verstehen, das ist das Ziel der Max-Planck-Forschungsgruppe „Verhaltensgenetik“ unter der Leitung von Hiromu Tanimoto am MPI für Neurobiologie. Als Modell für ihre Untersuchungen dient den Forschern dabei die Fruchtfliege Drosophila melanogaster, denn auch Fliegen haben ein Gedächtnis.

Das Gedächtnis der Fruchtfliege

Fliegen können lernen, Gerüche mit positiven oder negativen Ereignissen zu assoziieren: Wird ein Geruch mit einer entsprechenden Belohnung oder Bestrafung gekoppelt, so lernen die Fliegen sich auf den Geruch hin- oder von ihm wegzubewegen. Dass Fliegen zu diesen Gedächtnisleistungen fähig sind, wurde bereits in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts herausgefunden. Es wurde gezeigt, dass Fliegen auf einen Geruch zugehen, wenn dieser gleichzeitig mit einer Zuckerbelohnung angeboten wird. Wird der Geruch jedoch mit einem Stromimpuls als Bestrafung kombiniert, vermeiden die Tiere die Geruchsquelle. Aufbauend auf diesem Wissen wollen die Max-Planck-Forscher nun verstehen, wie dieses assoziative Gedächtnis entsteht – also wie positive und negative Erfahrungen auf neuronaler Ebene mit der Geruchsinformation verbunden werden und wie diese Verknüpfungen bestimmte Verhaltensweisen auslösen können (siehe Abb. 1).

Vereinfachtes Diagramm der Nervenzell-Verbindungen, die es der Fruchtfliege erlauben, Geruchs-Erinnerungen zu bilden. Die Fliege nimmt einen Geruch über ihre Antennen wahr, von wo aus die Information an den Antennallobus weitergeleitet wird. Von hier leiten spezielle Nervenzellen die bearbeitete Information an das Laterale Horn weiter. Es wird angenommen, dass die Erinnerungsbilder in den Projektionsnervenzellen und im Pilzkörper verbleiben. Bisher noch unbestätigte Signalwege sind durch gestrichelte Linien angezeigt.

Der Pilzkörper: Treffpunkt der Sinneseindrücke

Der Pilzkörper (Abb. 2) ist eine paarige Struktur im Zentralhirn von Insekten, in der geruchsassoziierte Erinnerungen entstehen. In einer Reihe von Studien identifizierten Hiromu Tanimoto und Kollegen systematisch die neuronalen Verbindungen im Pilzkörper der Fliege [1-3]. Bedeutend für die weitere Arbeit in diesem Bereich war die Identifizierung transgener Fliegenstämme. Zusammen mit seinen Kollegen von der Universität Tokyo entwickelte Tanimoto Fliegenstämme, in denen einzelne Nervenzellen und ihre Verbindungen im Pilzkörper und in anderen Gehirnregionen durch Fluoreszenzproteine markiert werden [1]. Erst durch dieses Hervortreten aus der Masse ist es möglich, einzelne Nervenzellen und ihre Verknüpfung mit anderen Nervenzellen zu untersuchen.

Dopamin hilft bei der Erinnerung, einen Geruch zu vermeiden

Ein wichtiges Ergebnis der Untersuchungen im Pilzkörper war, dass einige der Nervenzellen über den Botenstoff Dopamin kommunizieren. In verschiedenen Untersuchungen konnte belegt werden, dass Dopamin ausreicht, um einen Bestrafungsreiz (Stromimpuls) mit einem bestimmten Geruch zu verbinden [4-6]. Ausgestattet mit diesem Wissen aktivierten oder inaktivierten die Forscher um Tanimoto selektiv einzelne Dopamin-ausschüttende Nervenzellen im Pilzkörper. Auf diese Weise identifizierten sie eine kleine Zellgruppe, die zwar nur aus drei Nervenzellen bestand, die jedoch nach Aktivierung erfolgreich den negativen Eindruck des Stromimpulses transportierte: Das geruchsassoziierte Gedächtnis konnte entstehen. Waren diese drei Nervenzellen dagegen inaktiviert, so konnten die Fliegen keine Assoziation zwischen Geruch und Bestrafung herstellen und zeigten somit kein Vermeidungsverhalten.

Elektronenmikroskopische Aufnahme des Pilzkörpers der Fruchtfliege. Der Pilzkörper befindet sich im Zentralhirn von Insekten und spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung geruchsassoziierter Erinnerungen.

Wie entsteht ein Geruchs-Gedächtnis?

Das Geruchsgedächtnis der Fruchtfliegen setzt sich aus unterschiedlich stabilen Komponenten zusammen. Es gibt einen labilen Gedächtnisanteil, der, im Gegensatz zum stabileren Gedächtnisanteil, experimentell ausgeschaltet werden kann (zum Beispiel durch einen Kälteschock). So fanden die Forscher heraus, dass die neu entdeckten Dopamin-ausschüttenden Nervenzellen ausschließlich zur Bildung des labilen Gedächtnisanteils benötigt werden. Die Enden dieser Nervenzellen befinden sich in einer bestimmten Region innerhalb des Pilzkörpers. Es ist daher wahrscheinlich, dass hier das assoziative Gedächtnis entsteht.

Wissenschaftler gehen allgemein davon aus, dass Gedächtnisleistungen durch Veränderungen in den Verbindungen zwischen Nervenzellen möglich werden. So bilden sich neue Kontakte zwischen Nervenzellen, wenn ein Organismus etwas lernt. Wird das Gelernte vergessen, verschwinden auch die Kontaktpunkte, die Synapsen, wieder. Informationen werden über diese Synapsen mithilfe von Botenstoffen von einer Nervenzelle zur nächsten transportiert. Wie und wodurch die Botenstoff-Freisetzung dabei an den Synapsen des Pilzkörpers reguliert wird, blieb lange unklar. Um Einblick in diese Vorgänge zu bekommen, konzentrierten sich Tanimoto und seine Mitarbeiter auf zwei spezielle Proteine: Synapsin und Bruchpilot. Beide Proteine befinden sich auf der informationssendenden Seite der Synapse und regulieren die Ausschüttung des Botenstoffs. Tanimotos Mitarbeiter Stephan Knapek konnte zeigen, dass die Inaktivierung des Proteins Synapsin ausschließlich die Bildung des Kurzzeitgedächtnisses beeinträchtigt, während das Langzeitgedächtnis unbeeinflusst bleibt [7]. Die Forscher vermuten daher, dass nur kurzlebige und labile Erinnerungen auf Synapsin basieren.

Zeitliche Verbindung zwischen Geruch und Bestrafung

Setzt man eine Fliege für kurze Zeit einem bestimmten Duft aus und gibt ihr gleichzeitig einen kleinen Stromimpuls, wird sie den Geruch mit dem negativen Erlebnis verknüpfen lernen und den Geruch fortan möglichst meiden. Diese Art von Lernen nennt man klassische Konditionierung. Dabei sind sowohl die Zeitspanne zwischen den beiden Reizen (Geruch und Strom) als auch ihre Reihenfolge kritisch für den Lernerfolg. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass sich die Fliegen dem Geruch zuwenden, wenn dieser das Ende der Bestrafung anzeigt [8]. Je nach Reihenfolge der Reize kann ein Bestrafungsreiz somit entgegengesetzte Verhaltensweisen auslösen: Duft vor Bestrafung führt zur Vermeidung, Bestrafung vor Duft führt zur Annäherung [9].

Ein weiteres spannendes Ergebnis von Hiromu Tanimoto und seinen Mitarbeitern ist, dass klassische Konditionierung auch mit einer Zeitversetzung funktioniert, in der die Fliege die Geruchsinformation im Gehirn erst kurzzeitig speichern muss: Auch wenn der Stromimpuls erst einsetzt, wenn der Duft bereits verklungen ist, verbindet die Fliege den Geruch mit dem Impuls und wird ihn fortan meiden. „Reizspuren“ nennen die Wissenschaftler die Kurzspeicherung von Sinnesreizen, die dieser zeitverzögerten klassischen Konditionierung zugrunde liegt. Die Mechanismen, die beim Entstehen von Reizspuren und ihrer Verknüpfung mit nachfolgenden Sinneseindrücken eine Rolle spielen, sind kaum bekannt. Im Herbst 2009 bewilligte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in diesem Zusammenhang daher ein von Hiromu Tanimoto koordiniertes Forschungsprojekt. Im Verbund wollen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Konstanz klären, wie das Gehirn der Fliege Gedächtnisinhalte und Reizspuren über kurze Zeit speichert.

Originalveröffentlichungen

1.
N. K. Tanaka, H. Tanimoto, K. Ito:
Neuronal assemblies of the Drosophila mushroom body.
The Journal of comparative neurology 508, 711-755 (2008).
2.
Y. Aso, K. Grubel, S. Busch, A. B. Friedrich, I. Siwanowicz, H. Tanimoto:
The mushroom body of adult Drosophila characterized by GAL4 drivers.
Journal of Neurogenetics 23, 156-172 (2009).
3.
S. Busch, M. Selcho, K. Ito, H. Tanimoto:
A map of octopaminergic neurons in the Drosophila brain.
The Journal of comparative neurology 513, 643-667 (2009).
4.
M. Schwaerzel, M. Monastirioti, H. Scholz, F. Friggi-Grelin, S. Birman, M. Heisenberg:
Dopamine and octopamine differentiate between aversive and appetitive olfactory memories in Drosophila.
Journal of Neuroscience 23, 10495-10502 (2003).
5.
C. Schroll, T. Riemensperger, D. Bucher, J. Ehmer, T. Völler, K. Erbguth, B. Gerber, T. Hendel, G. Nagel, E. Buchner, A. Fiala:
Light-induced activation of distinct modulatory neurons triggers appetitive or aversive learning in Drosophila larvae.
Current Biology 16, 1741-1747 (2006).
6.
A. Claridge-Chang, R. D. Roorda, E. Vrontou, L. Sjulson, H. Li, J. Hirsh, G. Miesenböck:
Writing memories with light-addressable reinforcement circuitry.
Cell 139, 405-415 (2009).
7.
S. Knapek, B. Gerber, H. Tanimoto:
Synapsin is selectively required for anesthesia-sensitive memory.
Learning & Memory 17(2), 76-79 (2010).
8.
H. Tanimoto, M. Heisenberg, B. Gerber:
Event timing turns punishment to reward.
Nature 430, 983 (2004).
9.
A. Yarali, T. Niewalda, Y. C. Chen, H. Tanimoto, S. Duerrnagel, B. Gerber:
'Pain relief' learning in fruit flies.
Animal Behaviour 76, 1173-1185 (2008).
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