Genuss-Neurone der Amygdala fördern die Nahrungsaufnahme
Forschungsbericht (importiert) 2018 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie
Die Amygdala ist Teil mehrerer neuronaler Netzwerke, die Energiehaushalt, Gefühlslage und Belohnung koordinieren. Verschiedene Nervenzelltypen der Amygdala übernehmen dabei unterschiedliche Aufgaben. Kürzlich beschriebene „Genuss-Neurone“ der Amygdala verbinden die Nahrungsaufnahme mit positiven Empfindungen. Eine künstliche Aktivierung dieser Nervenzellen fördert bei Mäusen die Nahrungsaufnahme, auch wenn die Tiere nicht hungrig sind. Fehlfunktionen dieses Amygdala-Netzwerks könnten Essstörungen auslösen.
Einleitung
Das Gehirn reguliert den Energiehaushalt des Körpers. Signale aus Sinnesorganen, Darm, Bauchspeicheldrüse, Muskel- und Fettgewebe informieren das Gehirn über den Istzustand. Nervenzellen im Hypothalamus, einer Ansammlung von Zellkernen im Mittelhirn, regulieren die Abstimmung von Nahrungsaufnahme, Verdauung und Speicherung. Hunger ist ein unangenehmes Gefühl. Sogenannte „Hungerneurone“ im Hypothalamus, sind hoch aktiv während der Suche nach Nahrung, stellen aber ihre Aktivität beim Beginn der Nahrungsaufnahme schnell ein.
Unser Appetit wird aber nicht nur durch den Energiehaushalt, sondern auch durch Emotionen reguliert. Innere Reize wie Stress, sowie äußere Reize wie wohlschmeckende Nahrung beeinflussen die Nahrungsaufnahme. Der Nucleus accumbens des basalen Vorderhirns vermittelt den Belohnungseffekt der Nahrungsaufnahme durch Freisetzung der „Glücksbotenstoffe“ Dopamin, Endorphin und körpereigener Opiate [1].
Eine weitere Gehirnregion, die Amygdala, verknüpft Ereignisse mit Emotionen, speichert diese, und leitet die entsprechenden Verhaltensmuster ein. War ein Vorfall mit unangenehmen Gefühlen verbunden, kann die Amygdala eine starke Reaktion auslösen, zum Beispiel Übelkeit. Vor einigen Jahren wurde erstmals ein Nervenzelltyp in der Amygdala der Maus beschrieben, die sogenannten „Magersuchtneuronen“, die bei Übelkeit die Nahrungsaufnahme stoppen [2]. Wurden im Tierversuch die Magersuchtneuronen der Amygdala in hungrigen Mäusen durch lichtempfindliche Kanäle aktiviert, stellten die Tiere sofort das Fressen ein. Ausgehend von diesem wichtigen Befund konnte unser Forscherteam 2017 zeigen, dass es in der Amygdala auch Nervenzelltypen gibt, die genau den gegenteiligen Effekt auslösen. Die sogenannten „Genuss-Neurone“ der Amygdala können die Nahrungsaufnahme bei gesättigten Tieren steigern und sie erzeugen dabei einen Belohnungseffekt [3].
HTR2A-Zellen fördern die Nahrungsaufnahme
Bei unserer Suche nach den Genuss-Neuronen konzentrierten wir uns auf einen Nervenzelltyp, der den Serotonin-Rezeptor HTR2A exprimiert. Diese HTR2A-Zellen bilden zusammen mit den Magersuchtneuronen einen gemischten Verband (Abb. 1) und zeigen ähnlich wie die Magersuchtneurone hemmende Eigenschaften - sie könnten also die Aktivität der Magersuchtneurone unterdrücken, bzw. selbst von den Magersuchtneuronen gehemmt werden.
Zur Aktivierung der HTR2A-Zellen brachten wir einen lichtempfindlichen Ionenkanal in die Zellen ein und photostimulierten die Zellen über zwei Lichtleiter, die wir vorher beidseitig über die rechte und linke Amygdala implantiert hatten. Diese künstliche Aktivierung hatte den Effekt, dass die Tiere länger fraßen und war umso grösser, je weniger hungrig die Tiere waren. In einem anderen Versuchsaufbau konnten sich die Tiere in zwei verschiedenen Räumen aufhalten, in einem dieser Räume wurden die HTR2A-Zellen aktiviert. Dass die Tiere sich länger im ‚aktivierten‘ Raum aufhielten, legte den Schluss nahe, dass die Tiere aktive HTR2A-Zellen bevorzugten. Der wohl wichtigste Befund war jedoch, dass die HTR2A-Zellen für die normale Nahrungsaufnahme notwendig waren. Wurden sie ausgeschaltet oder inaktiviert, wurden die Fresszeiten der Tiere deutlich kürzer, selbst wenn diese hungrig waren oder ihnen besonders schmackhafte Nahrung angeboten wurde.
Genuss-Neurone werden durch Nahrung aktiviert
Durch Messung des Kalziumeinstroms als Indikator für die neuronale Aktivität (Abb. 2) konnten wir zeigen, dass die HTR2A-Zellen erst aktiviert werden, wenn die Tiere zu fressen beginnen, und nicht bereits wenn die Tiere signalisiert bekommen, dass die Futterausgabe unmittelbar bevorsteht. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die HTR2A-Zellen die anhaltende Nahrungsaufnahme fördern, indem sie den Wert der Nahrung wie Geschmack und Appetitlichkeit positiv beeinflussen. Wie wichtig die HTR2a-Zellen für die positive Bewertung von Nahrungseigenschaften sind, zeigte auch ein weiterer Versuch: Allein durch das Aktivieren der HTR2a-Zellen konnten wir die Tiere so konditionieren, dass sie einen zuvor wenig beliebten Geschmack bevorzugten.
HTR2A-Zellen sind Teil eines neuronalen Netzwerks
Wie genau die HTR2a-Zellen innerhalb des Gehirns die Nahrungsaufnahme beeinflussen, ist noch nicht abschließend untersucht. Ein Teil des Mechanismus ist wahrscheinlich die gegenseitige Hemmung von HTR2a- Zellen und Magersuchtneuronen innerhalb der Amygdala. Nimmt das Tier verdorbene Nahrung auf, werden die Magersuchtneuronen aktiviert, dadurch die HTR2a-Zellen gehemmt und die Nahrungsaufnahme eingestellt. Frisst das Tier dagegen etwas Leckeres, werden die HTR2a-Zellen aktiv, dadurch die Magersuchtneuronen gehemmt, und die Nahrungsaufnahme wird mit Belohnung gekoppelt. Des Weiteren regulieren die HTR2a-Zellen die Aktivität von Zellen in anderen Gehirnbereichen, zum Beispiel solchen, die Informationen über den Wert und die Qualität der Nahrung verarbeiten. Umgekehrt bekommen die HTR2a-Zellen von anderen Zellen den physiologischen und emotionalen Zustand des Tieres mitgeteilt.
Ausblick
Die Erforschung der HTR2a-Zellen erweitert unser Wissen über die Rolle der Amygdala bei der Regulierung der Nahrungsaufnahme. Die Arbeiten werfen aber auch weitere Fragen auf. Funktionieren diese Zellen als Spezialisten bei der Nahrungsaufnahme oder eher als Generalisten bei anderen Konsumverhalten, wie Trinken und Paarung, oder sogar bei Belohnungsverhalten, wie Aufzucht von Babys oder Altruismus gegenüber Artgenossen? Welche Rolle spielt bei all diesen Funktionen der Botenstoff Serotonin, für den die HTR2a-Zellen einen spezifischen Rezeptor haben? Könnten Fehlfunktionen in den Amygdala-Schaltkreisen zu extremem Essverhalten führen und wäre die Manipulation der HTR2a-Zellen und Magersuchtneuronen ein Forschungsansatz zur Hilfe für Menschen mit krankhaftem Essverhalten?