Bei autistischen Mäusen ist die Inselrinde im Gehirn verändert
Forschungsbericht (importiert) 2014 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie
In der Inselrinde des Gehirns werden Emotionen, Sinneseindrücke und kognitive Informationen miteinander verflochten. Veränderungen in dieser Struktur werden mit neurologischen Störungen wie Autismus und Schizophrenie in Verbindung gebracht. Neue Studien zeigen, dass die Sinnesverarbeitung in der Inselrinde von autistischen Mäusen gestört ist. Dieser Störung liegt ein Ungleichgewicht zwischen aktivierenden und hemmenden Synapsen zugrunde, das durch Medikamente korrigiert werden kann. Die Ergebnisse könnten auch für verbesserte Diagnose- und Therapieansätze beim Menschen hilfreich sein.
Autismus ist eine angeborene und tiefgreifende Entwicklungsstörung, die die Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung des Gehirns beeinträchtigt und sich im frühen Kindesalter bemerkbar macht. Da Autismus sich durch ein weites Spektrum an Ausprägungen und Schweregraden auszeichnet, spricht man auch von Autismus-Spektrum-Störungen (ASS).
Derzeit erfolgt die Diagnose von Autismus ausschließlich über die für die Krankheit typischen Veränderungen im Verhalten: Sprach- und Kommunikationsstörungen, stereotype Verhaltensweisen und Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen. Eindeutige biologische und neurologische Marker konnten bisher nicht identifiziert werden, was die Früherkennung und die Entwicklung von neuen Therapien erschwert.
Welche neurologischen Veränderungen liegen den Autismus-typischen Symptomen zugrunde?
Die Forschungsgruppe "Schaltkreise der Emotionen" um Nadine Gogolla untersucht am Max-Planck-Institut für Neurobiologie die Funktionsweise der Inselrinde, einer Gehirnstruktur, die zu komplexen kognitiven Funktionen wie der Emotionsregulation, dem Sozialverhalten und der Kommunikation beiträgt. Bisher weiß man nicht, wie die Inselrinde genau funktioniert und wie sie auf so komplexe Vorgänge Einfluss nimmt.
Die Inselrinde
Die Inselrinde ist ein Teil der Großhirnrinde, der als assoziatives Zentrum fungiert. So erhält die Inselrinde Informationen über die Umgebung von den Sinnesorganen und über den Zustand des Körpers über innensensorische Nervenbahnen. Zudem steht sie in engem Kontakt mit emotionalen und kognitiven Gehirnzentren. Es wird daher angenommen, dass die Inselrinde wichtige Ereignisse und Zustände erkennt und von unwichtigen Ereignissen trennt [1]. Wie das jedoch auf neuronaler Ebene geschieht, ist noch nicht untersucht.
Interessanterweise sind Veränderungen in der Anatomie, den Verbindungen und der Aktivierung der Inselrinde häufig in Untersuchungen autistischer Patienten gefunden worden [2]. Da die zellulären Grundlagen der Funktionen der Inselrinde nicht im Menschen untersucht werden können, arbeiten die Forscher um Nadine Gogolla mit Mausmodellen. Auch Mäuse haben ein komplexes Sozial- und Kommunikationsverhalten und ein reiches Repertoire an Emotionen. Sie eignen sich deshalb besonders gut, um die Gehirnvorgänge in der Inselrinde zu untersuchen. Es gibt verschiedene Mausmodelle für Autismus, die die hierfür typischen Verhaltensstörungen zeigen und oft ähnliche neurologische Befunde wie im Menschen aufweisen.
Nadine Gogolla und Ihre Kollegen im Labor von Takao Hensch an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, haben nun untersucht, wie die Inselrinde ihre Fähigkeit entwickelt, Informationen aus verschiedenen Quellen zusammenzubringen. Auch erforschten sie, ob diese grundlegende Fähigkeit der Inselrinde in Mausmodellen für Autismus gestört ist [3].
Die Forscher fanden, dass die Inselrinde in gesunden Mäusen stärker reagiert, wenn zwei Sinneseindrücke gleichzeitig eintreffen (Abb. 1). Die Signale verstärken sich gegenseitig. Diese Fähigkeit entwickelt sich langsam nach der Geburt während der Kindheit (Abb. 2). Dieselbe Fähigkeit war jedoch in allen untersuchten Mausmodellen einheitlich gestört. So reagierte die Inselrinde autistischer Mäuse auf zwei kombinierte Reize genauso wie auf die einzelnen Reize. Interessanterweise war es meist so, dass schon ein einzelner Sinneseindruck die Inselrinde der autistischen Mäuse so stark aktivierte, dass die Kombination von mehreren Sinneseindrücken keine zusätzliche Information liefern konnte (Abb. 1). Dies erinnert an die oft beschriebene Übersensibilität von Autisten auf einzelne Sinneswahrnehmungen.
Wenn die Gehirnaktivierung aus dem Gleichgewicht gerät
Für eine optimale Verarbeitung im Gehirn ist nicht nur die Aktivierung und Weitergabe von Informationen, sondern auch das gezielte Hemmen des Informationsflusses wichtig. Schon seit längerer Zeit werden Defizite in dem Gleichgewicht von Aktivierung und Hemmung im Gehirn autistischer Patienten vermutet [4]. In dem nun identifizierten Bereich der Inselrinde fanden die Forscher ein ausgeprägtes Ungleichgewicht zwischen hemmenden und erregenden Nervenzellkontakten (Synapsen). Besonders in einem Mausmodell waren die hemmenden Moleküle deutlich verringert (Abb. 3) und vor allem eine Gruppe von hemmenden Nervenzellen, die Parvalbumin-Zellen, schienen besonders betroffen. Ein spannendes Ergebnis, da bekannt ist, dass gerade diese Nervenzellen die nachgeburtliche Gehirnentwicklung bedeutend bestimmen [5]. Eine naheliegende Vermutung war deshalb, dass die Defizite in erwachsenen Mäusen dieses Modells durch eine fehlerhafte Entwicklung der hemmenden Schaltkreise zustande kamen.
Um dies zu untersuchen, verglichen die Forscher zunächst die Entwicklung der Sinnesverarbeitung in der Inselrinde gesunder Mäuse und in der Inselrinde der Autismus-Mäuse. Tatsächlich fanden sie, dass die Inselrinde junger, gesunder Mäuse die Sinneseindrücke ähnlich verarbeitete wie die der Autismus-Mäuse. So aktivierten auch hier schon einzelne Sinneseindrücke die Inselrinde sehr stark und die Kombination von mehreren Sinneseindrücken lieferte keine zusätzlichen Informationen (Abb. 2).
Mit steigendem Alter entwickelten die gesunden Mäuse jedoch bald die typische Verstärkung, wenn die Sinne kombiniert wurden. Diese Entwicklung blieb in den Autismus-Mäusen aus (Abb. 2).
Wie bereits erwähnt, sind hemmende Nervenzellkontakte entscheidend, um die nachgeburtliche Gehirnentwicklung zu steuern. Die Forscher gaben deshalb jungen Autismus-Mäusen in einem frühen Zeitfenster der Entwicklung über mehrere Tage Diazepam, ein Medikament, das auch unter dem Handelsnamen Valium bekannt ist. Diazepam fördert die Hemmung im Gehirn und die Forscher vermuteten, dadurch die Gehirnentwicklung voranzutreiben. Tatsächlich war diese Behandlung so effizient, dass die Inselrinde der so behandelten Mäuse verschiedene Sinneseindrücke wie in gesunden Tieren verarbeitete. Dies war selbst in erwachsenen Tieren zu beobachten, die lange keine Medikamente mehr erhalten hatten. Auch war das Gleichgewicht zwischen hemmenden und aktivierenden Nervenzellverknüpfungen langfristig wieder hergestellt und das stereotype Verhalten der Tiere wurde permanent stark gemindert. Im Gegensatz zu diesen ermutigenden Ergebnissen der „frühkindlichen Behandlung“, hatte die gleiche Behandlung in erwachsenen Mäusen nicht den gewünschten Erfolg. Nur akut verabreicht, erzielten die Medikamente eine kurzfristige Verbesserung. Aber dieser Effekt verschwand, sobald die Medikamente abgesetzt wurden. Zusammen sprechen diese Resultate dafür, dass die kindliche Behandlung einen entscheidenden Stein in der Gehirnentwicklung ins Rollen gebracht hat.
Viele Formen von Autismus
Interessanterweise zeigten auch alle anderen untersuchten Mausmodelle Abweichungen in den hemmenden Nervenzellkontakten der Inselrinde. Allerdings waren die Abweichungen sehr unterschiedlich. Bei manchen war die Hemmung deutlich reduziert, bei anderen deutlich erhöht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Gleichgewicht zwischen erregenden und hemmenden Kontakten in der Inselrinde ein wichtiger neurobiologischer Aspekt bei der Entstehung von Autismus ist (Abb. 4). Sie weisen jedoch auch darauf hin, dass es verschiedene Ausprägungen des Ungleichgewichtes gibt. Während das Wiederherstellen des Gleichgewichts zwischen Hemmung und Aktivierung in der frühen Kindheit ein wichtiger Therapieansatz sein könnte, spricht diese Studie dafür, dass bei medikamentösen Eingriffen in das kindliche Gehirn äußerste Vorsicht geboten ist, da die möglichen Resultate wichtige Schaltkreise langfristig verändern. In der Tat kann das künstliche Steigern der Hemmung wie zum Beispiel mit Diazepam große Nachteile haben, wenn inadäquat eingesetzt: So ruft dies bei gesunden Mäusen Störungen in der Inselrinde erst hervor. Bei einer Therapie müssten die eingesetzten Medikamente und Dosierungen daher genauestens auf den Bedarf des jeweiligen Patienten abgestimmt werden. Wie dieser Bedarf ermittelt werden kann, müsste durch weitere Studien und spätere vorklinische Tests erforscht werden.
Neue Fragen
Diese Studie bringt viele Hypothesen über Autismus zusammen: Störungen in der Sinnesverarbeitung, Nutzen früher Therapien, das Gleichgewicht zwischen Hemmung und Aktivierung und Entwicklungsstörungen des Gehirns. Die Studie wirft damit auch viele neue Fragen auf. Wie spezifisch sind diese Störungen und welche Verhaltensweisen lassen sich dadurch erklären? Es ist zum Beispiel bekannt, dass viele der oben genannten Hypothesen auch für Schizophrenie zutreffen und dass die Inselrinde auch in schizophrenen Patienten verändert ist. Die Forschungsgruppe um Nadine Gogolla will diesen Fragen in der Zukunft nachgehen, indem sie die Funktionsweisen der Inselrinde und deren Einfluss auf das Verhalten erforscht: in gesunden Tieren und in Mausmodellen für psychiatrische und neurologische Erkrankungen.