Klebstoff für Synapsen
Forschungsbericht (importiert) 2010 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie
Das Gehirn verarbeitet die verschiedensten Arten von Information und passt sich und seine Struktur ständig an, um neue Aufgaben zu bewältigen. Wie die rund hundert Milliarden Nervenzellen mit ihren tausenden Synapsen pro Zelle diese komplexen Aufgaben lösen, das ist die zentrale Frage der Neurobiologie. Lange nahmen Wissenschaftler an, dass die Synapsen sehr statisch sind. Es wurde vermutet, dass neue Synapsen vor allem im erwachsenen Gehirn nur selten entstehen und dass einmal gebildete Kontakte für unbestimmte Zeit bestehen bleiben. Doch inzwischen ist bekannt, dass Synapsen sehr dynamisch sind und nach Bedarf ständig neu entstehen oder verschwinden. Eine der ersten Beobachtungen war, dass Synapsen stärker oder schwächer werden können. Stellt man sich die Synapse als Sender-Empfänger-Einheit vor, so gibt es zwei Möglichkeiten, dieses System zu verändern: Zum einen über die (Laut-)Stärke der Übertragung, zum anderen über die Empfindlichkeit des Empfängers. Beide Veränderungen spielen bei Synapsen eine Rolle und inzwischen konnten viele Schritte der beteiligten Prozesse auf molekularer Ebene aufgeklärt werden.
Wie aber Synapsen neu entstehen, ist bisher wenig verstanden. Das liegt zum einen an den verfügbaren Methoden, um diese Vorgänge zu untersuchen. An ausgereiften und funktionierenden Synapsen können bereits seit vielen Jahren kleinste Ströme, die bei der Informationsübertragung entstehen, präzise gemessen werden. Entstehende Synapsen können dagegen nur optisch mit bildgebenden Verfahren beobachtet werden, da hier noch keine Informationen fließen. Die entsprechenden Mikroskopie-Verfahren sind in den letzten Jahren deutlich verbessert worden, sodass die Einblicke in diese kleinsten Veränderungen und Vorgänge zunehmend besser und detaillierter werden. Zum anderen sind inzwischen viele der Proteine, die spezifisch in Synapsen vorkommen, bekannt.
Wie Synapsen entstehen: Kontaktaufnahme
Aktuell gehen Wissenschaftler davon aus, dass Synapsen zunächst als kleine Fortsätze – sogenannte Filopodien – aus den Dendriten auswachsen. Ob sich aus diesen Filopodien dann Synapsen entwickeln, hängt davon ab, ob sich ein entsprechender Kontakt-Partner in der Nähe befindet. Trifft ein Filopodium auf eine geeignete Stelle einer anderen Nervenzelle, so müssen die beiden Zellteile zunächst in Kontakt bleiben, erst dann kann eine Synapse entstehen. In den letzten Jahren wurde eine wachsende Anzahl von Proteinen identifiziert, die an diesen Schritten bei der Synapsenbildung beteiligt sind. Diese sogenannten Adhäsionsmoleküle kann man sich als eine Art Klebstoff zwischen den beiden Teilen einer Synapse vorstellen (Abb. 1). Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie haben zusammen mit Kollegen der Yale University die Funktion von SynCAM1, eines der Adhäsionsmoleküle, genauer untersucht [1].
Für die Untersuchungen zur Funktion von SynCAM1 wurden Mäuse genetisch so verändert, dass sie entweder mehr SynCAM1 in Nervenzellen produzieren oder ihnen dieses Protein gänzlich fehlte. Die ersten Ergebnisse bestätigten die Vermutungen der Wissenschaftler, dass SynCAM1 eine essentielle Rolle bei der Synapsenbildung spielt. In den Gehirnen von Mäusen ohne SynCAM1 wurden auch weiterhin Synapsen gebildet, da es weitere nahe Verwandte von SynCAM1 gibt, die ebenfalls zum Aufbau von Synapsen beitragen. War die Menge von SynCAM1 jedoch künstlich erhöht, so wurden deutlich mehr Synapsen gebildet (Abb. 2). Reduzierten die Neurobiologen die SynCAM1-Menge dann wieder durch einen genetischen Trick, so verschwanden die zusätzlichen Synapsen. Dieser Effekt war nicht nur auf die Entwicklungsphase des Gehirns beschränkt, in der sich die meisten Synapsen bilden, sondern konnte auch im erwachsenen Gehirn nachgewiesen werden. Die Ergebnisse zeigen, dass SynCAM1 nicht nur beim Aufbau von Synapsen eine Rolle spielt, sondern auch für den Erhalt von vorhandenen Synapsen wichtig ist.
Stabilere Synapsen durch SynCAM1
In den nächsten Experimenten untersuchten die Forscher die Synapsen genauer. Es zeigten sich aber keine Unterschiede in der Funktionsweise, was darauf hindeutet, dass SynCAM1 zunächst an der Entstehung von Synapsen beteiligt ist, die Funktion aber nicht beeinflusst. Wurden die Synapsen aber so stimuliert, dass sie ihre Empfindlichkeit verändern, zeigte sich, dass SynCAM1 die sogenannte Plastizität beeinflusst – also die Fähigkeit des Gehirns, durch Veränderungen der Synapsen auf Reize zu reagieren. Bei einem Stimulus, der Synapsen „kleiner“ werden lässt, zeigten Synapsen mit einer erhöhten Menge SynCAM1 keine Veränderung. Im Gegensatz dazu ließen sich Synapsen in Tieren ohne SynCAM1 stärker abschwächen als die von Kontrolltieren. Diese Beobachtung lässt sich bildlich recht gut erklären: durch mehr Synapsenkleber (SynCAM1) sind die Kontakte stabiler und lassen sich nicht so leicht verändern. Vermutlich sind die genauen Mechanismen aber komplizierter. SynCAM-Proteine können auch innerhalb der Zelle an andere Proteine binden und dadurch die Veränderung von Synapsen beeinflussen. Bisher konnten zwar noch keine weiteren Partner von SynCAM1 und anderen Proteinen dieser Gruppe identifiziert werden, daran wird aber momentan im Labor von Thomas Biederer in Yale intensiv gearbeitet.
Leichter lernen ohne SynCAM1
In den letzten Jahren hat sich immer mehr herauskristallisiert, dass das Gehirn nur dank der variablen Synapsen fähig ist, zu lernen oder Erinnerungen zu bilden. Es könnte daher vermutet werden, dass Tiere mit einer erhöhten Synapsenzahl, die darüber hinaus auch noch stabiler sind, Informationen besser verarbeiten oder behalten können. Um diese Idee zu überprüfen, wurden Mäuse darauf trainiert, eine Plattform in einem Schwimmbecken zu finden und sich die Position zu merken. Nach einigen Trainingseinheiten finden so trainierte Tiere die Plattform sehr zuverlässig. Wird die Plattform dann entfernt, begeben sich die Mäuse in den Bereich, in dem die Plattform sich während des Trainings befand. Die Zeit, die sie in diesem Bereich verbringen, ist ein Maß für ihre Fähigkeit, räumlich zu lernen. Das Ergebnis der Versuche war erstaunlich: Entgegen der ursprünglichen Vermutung lernten Tiere mit einer erhöhten Zahl von Synapsen (mehr SynCAM1) nicht leichter, sondern schlechter. Mäuse ohne SynCAM1 lernten im Vergleich deutlich schneller und konnten sich besser erinnern. Ein eindeutiger Hinweis auf die besondere Bedeutung von SynCAM1: Zwar werden mit SynCAM1 mehr Synapsen gebildet, diese sind jedoch auch stabiler. Somit wird es auch schwieriger, unnötige Verbindungen wieder aufzulösen. Die Neurobiologen vermuten daher, dass der beobachtete Unterschied in der Lernfähigkeit im Abbau ungenutzter Synapsen liegt. Ohne SynCAM1 können sich die Kontakte leichter wieder trennen.
Zukunftsmusik
Die bisherigen Beobachtungen haben das Verständnis dafür, wie sich Synapsen bilden, erweitert. Dennoch ergeben sich viele neue Fragen. So planen die Wissenschaftler, die Synapsen über einen längeren Zeitraum zu beobachten und dadurch neue Erkenntnisse über die Funktionsweise von Adhäsionsmolekülen zu gewinnen.
In unserer alternden Gesellschaft gewinnen die Ursachen von neurologischen Erkrankungen immer mehr an Bedeutung. Viele dieser Krankheiten zeigen eine veränderte Synapsenbildung. Daher scheint eine therapeutische Bedeutung von SynCAM1, beispielsweise bei der Alzheimerschen Krankheit, nicht ausgeschlossen. Diese Aspekte werden die Wissenschaftler bei ihrer weiteren Forschung im Auge behalten.