Persistenz von Immunzellen im zentralen Nervensystem bei Multipler Sklerose: Hirneigene Stützzellen (Astrozyten) produzieren BAFF, einen Überlebensfaktor für Immunzellen

Forschungsbericht (importiert) 2004 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie

Autoren
Krumbholz, Markus; Wekerle, Hartmut; Hohlfeld, Reinhard; Meinl, Edgar
Abteilungen
Neuroimmunologie (Wekerle) (Prof. Dr. Hartmut Wekerle)
MPI für Neurobiologie, Martinsried
Zusammenfassung
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), bei der autoimmune T- und B-Lymphozyten eine wichtige Rolle spielen. Die Rolle der B-Zellen ist dabei ungeklärt. Eine neue Untersuchung zeigt, dass hirneigene Stützzellen (Astrozyten) einen Faktor, BAFF, produzieren, der das Überleben von B-Lymphozyten fördert. BAFF ist bereits im gesunden Gehirn nachweisbar, jedoch in den Entzündungsherden von MS-Patienten deutlich vermehrt. Dadurch scheint im ZNS ein „B-Lymphozyten-freundliches Milieu“ zu entstehen, das zum Überleben dieser Entzündungszellen im Gehirn von MS-Patienten beiträgt.

Untersuchungen aus der Abteilung Neuroimmunologie am MPI für Neurobiologie, Martinsried, und dem Institut für Klinische Neuroimmunologie der LMU werfen neues Licht auf die Entstehung von Entzündungsreaktionen bei Multipler Sklerose (MS). MS ist eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS; d.h. des Gehirns und Rückenmarks), sie befällt typischerweise Menschen im Alter von 20-40 Jahren, verläuft oft in Schüben und kann zu deutlichen Behinderungen führen. Wahrscheinlich spielen bei der MS „Autoimmunreaktionen“ eine entscheidende Rolle: Fehlgeleitete „autoreaktive“ Immunzellen dringen in das ZNS ein, werden dort aktiviert und attackieren Myelinscheiden und Axone.

Während bisher das Augenmerk vorwiegend auf T-Lymphozyten gerichtet war, rücken neuerdings auch B-Lymphozyten immer mehr in den Blickpunkt. B-Lymphozyten und ihre Abkömmlinge, Plasmazellen, bilden im ZNS Antikörper. Diese Antikörper finden sich auch im Liquor cerebrospinalis („Nervenwasser“) in abnormaler Verteilung als so genannte „oligoklonale Banden“. Diese sind bereits zu Beginn der Erkrankung vorhanden und für die Diagnosestellung bedeutsam. Diese oligoklonalen Antikörper bleiben über viele Jahre im Liquor nachweisbar.

Die Martinsrieder Gruppe setzt sich zum Ziel, herauszufinden, welche Faktoren für das Langzeit-Überleben von B-Lymphozyten und Plasmazellen im ZNS von MS-Patienten verantwortlich sind. Dabei kam der Botenstoff BAFF (B cell activating factor of the TNF family) in das Gesichtsfeld. BAFF ist für die Entwicklung und das Überleben von B-Zellen im lymphatischen Gewebe wichtig. Überraschenderweise findet sich BAFF im gesunden ZNS, einem Organ, welches nur sehr wenige Immunmoleküle bildet. Im Gewebeschnitt findet sich BAFF vor allem auf Astrozyten, d.h. „Stützzellen“, die ausschließlich im ZNS vorkommen. Immunfluoreszenz-Doppelmarkierungen zeigten, dass dieselben Zellen BAFF und den Astrozytenmarker GFAP (Glial fibrillary acidic protein) produzieren (Abb. 1).

In aktiv entzündlichen Herden von MS-Patienten wird die Produktion von BAFF weiter hochgefahren, wobei so hohe Konzentrationen von BAFF erreicht werden wie sonst nur in lymphatischen Geweben, in denen man bisher den eigentlichen Wirkungsort von BAFF vermutete. In den MS-Läsionen finden sich BAFF-produzierende Astrozyten in unmittelbarer Nähe von Entzündungszellen, die eine Bindungsstelle für BAFF (nämlich den Rezeptor BAFF-R) tragen (Abb.1). Diese Befunde passen zu der Annahme, dass BAFF aus Astrozyten das Überleben von Immunzellen im ZNS fördert.

Diese Beobachtungen wurden zunächst an Gewebeproben gemacht und in einem weiteren Arbeitsabschnitt durch Zellkultur bestätigt und ausgearbeitet. Besonders wurde untersucht, durch welche Stimuli die BAFF-Produktion von Astrozyten angestoßen wird. Dabei zeigte sich, dass Astrozyten vor allem unter dem Einfluss von Tumornekrosefaktor-α und Interferon-γ (Botenstoffe, die die Entzündung in MS-Läsionen antreiben) große Mengen an BAFF produzierten. Derartig stimulierte Astrozyten produzierten erstaunlicherweise sogar mehr BAFF als Entzündungszellen.

Das von Astrozyten produzierte BAFF ist biologisch wirksam, d.h. es unterhält das Überleben von B-Zellen in der Zellkultur. Es ist anzunehmen, dass BAFF auch in vivo, also im ZNS, ein für B-Lymphozyten günstiges Milieu schafft. Dies spielt wahrscheinlich bei Autoimmunerkrankungen wie der MS eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus dürfte BAFF auch an der Entstehung einer im ZNS vorkommenden B-Lymphozyten-Leukämie, dem primären ZNS-Lymphom, beteiligt sein. Primäre ZNS-Lymphome sind eine Untergruppe von Hirntumoren, die von Immunzellen ihren Ausgang nimmt. Diese Lymphome/Leukämien leiten sich von B-Lymphozyten ab: Sie entstehen im ZNS und breiten sich nicht in andere Gewebe aus. In diesen ZNS-Lymphomen wird BAFF produziert, und diese Tumorzellen zeigen reichliche Bindungsstellen für BAFF. Dies legt nahe, dass die lokale Produktion von BAFF die Entstehung und Ausbreitung dieser Lymphome fördert.

Zusammengefasst zeigt diese Arbeit , dass im normalen ZNS hirneigene Zellen (Astrozyten) einen Überlebensfaktor (BAFF) für bestimmte Immunzellen (B-Lymphozyten) produzieren. Das ZNS ist also B-Lymphozyten gegenüber „empfänglich“. In Entzündungsherden bei MS-Patienten wird die BAFF-Produktion hochreguliert. Immunzellen im Gehirn von MS- Patienten und auch Tumorzellen beim primären ZNS-Lymphom besitzen Bindungsstellen für BAFF. Die gesteigerte lokale Produktion von BAFF im ZNS könnte somit das Überleben von B-Lymphozyten bei MS und von Tumorzellen im primären ZNS-Lymphom unterstützen. Daraus folgt, dass eine Hemmung von BAFF bei diesen beiden ZNS-Erkrankungen ein Erfolg versprechender neuer Therapieansatz sein könnte.

Abkürzungen: BAFF, B cell activating factor of the TNF family; MS, Multiple Sklerose;
ZNS, zentrales Nervensystem.

Originalveröffentlichungen

1.
M. Krumbholz, D. Theil, T. Derfuss, A. Rosenwald, F. Schrader, C.-M. Monoranu, S.L. Kalled, D.M. Hess, B. Serafini, F. Aloisi, H. Wekerle, R. Hohlfeld, E. Meinl
BAFF is produced by astrocytes and up-regulated in multiple sclerosis lesions and primary central nervous system lymphoma.
J. Exp. Med. 2005, 201:195-200.
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