Biologie des Vogelgesangs: Anpassungen und Plastizität von Verhalten

The biology of bird song: adaptation and plasticity of animal behaviour

Forschungsbericht (importiert) 2010 - Max-Planck-Institut für Ornithologie

Autoren
Brumm, Henrik
Abteilungen
Forschungsgruppe Kommunikation und Sozialverhalten
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Seewiesen
Zusammenfassung
Forscher am MPI für Ornithologie untersuchen Vogelgesang als Modell sexuell selektierter Signale. Sie entdeckten, dass Vogelweibchen lauten Gesang bevorzugen, weil der auf eine gute Kondition schließen lässt. Durch soziale Aggression rivalisierender Männchen wird gewährleistet, dass die Lautstärke ein verlässlicher Anzeiger ist. Gleichzeitig muss der Gesang an die Erfordernisse der Signalübertragung in den jeweiligen Habitaten angepasst werden. So entsteht ein komplexes Wechselspiel zwischen natürlicher und sexueller Selektion, das zu Plastizität und speziellen Anpassungen der Signale führt.
Zusammenfassung
Scientists at the MPI for Ornithology investigate bird song as a model for sexually selected signals. Female songbirds prefer loud songs, which can be used as a signal of high male body condition. The honesty of the signal is maintained by social aggression of rival males. At the same time, birds need to adjust their songs to the physical properties of their habitats to ensure signal transmission. This results in a complex interplay between natural and sexual selection, during which signal plasticity plays an important role as well as special adaptations of signal structure.

Der Gesang der Vögel gehört zu den schönsten und komplexesten Lauten, die die Natur hervorgebracht hat. Ein Vogelkonzert an einem Frühlingsmorgen kann ein bewegendes Erlebnis sein. Die Vögel singen jedoch nicht, um uns Menschen zu erfreuen, sondern ihr Gesang erfüllt einen evolutionären Zweck im Zusammenhang mit der Fortpflanzung.

In unseren Breiten singen zumeist nur die Männchen; mit ihren Liedern markieren und verteidigen sie ihre Territorien gegen rivalisierende Männchen und gleichzeitig locken sie Weibchen an und stimulieren sie zur Paarung. Da sich Unterschiede im Gesang zwischen Männchen auf die Partnerwahl der Weibchen und die Konkurrenz der Männchen untereinander auswirken, wird die Evolution des Gesanges maßgeblich durch sexuelle Selektion beeinflusst.

Neueste Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass in diesem Zusammenhang die Lautstärke des Gesangs eine wichtige Rolle spielt (Abb. 1). So bevorzugen beispielsweise Vogelweibchen lauten Gesang gegenüber leisem [1]. Gleichzeitig unterscheiden sich die Männchen vieler Singvogelarten enorm in der Lautstärke ihres Gesangs, es wurden Unterschiede von 10 - 15 Dezibel (dB) zwischen den lautesten und den leisesten Sängern einer Population gemessen [2; 3]. Warum singen nicht alle Vogelmännchen laut, wenn dies doch attraktiv für Weibchen ist und den Männchen Vorteile bei der Fortpflanzung bringen würde? Und warum wählen Weibchen überhaupt Männchen mit lautem Gesang? Um diese Fragen beantworten zu können, mussten die Seewiesener Forscher herausfinden, welche Information in der Gesangslautstärke kodiert ist und welche Kosten die Produktion von lautem Gesang möglicherweise beschränken.

Gesangslautstärke als Signal

Die Gesangsmotivation von Singvögeln wird maßgeblich durch das Sexualhormon Testosteron beeinflusst. Männchen mit hohem Testosteronspiegel singen häufiger und länger, allerdings nicht lauter [3]. Unerwarteterweise hängt der Schallpegel des Gesangs auch nicht mit der Körpergröße des singenden Männchens zusammen [2]. Neueste Befunde deuten darauf hin, dass die Lautstärke des Gesangs von der Kondition des singenden Männchens beeinflusst wird. Gut genährte Tiere in optimaler Verfassung singen lauter als Männchen in schlechterer körperlicher Kondition. Findet ein Tier weniger Futter, sinkt dadurch die Kondition, und der Vogel verringert seine Gesangslautstärke. Da Weibchen lauten Gesang bevorzugen, wählen sie damit indirekt Männchen in guter körperlicher Verfassung. Werden junge Singvögel im Nest schlecht mit Futter versorgt, beeinträchtigt dies zwar ihre Gesangsentwicklung, aber diese Defizite führen nicht zu einer reduzierten Gesangslautstärke, wenn sie ausgewachsen sind [4].

Kosten des lauten Singens

Der Zusammenhang zwischen Körperverfassung und Gesangsamplitude lässt vermuten, dass die Produktion von lautem Gesang durch metabolische Kosten beschränkt wird. Männchen in schlechter Verfassung verfügen vielleicht nicht über ausreichende Energiereserven, um laut zu singen. Um dies zu überprüfen, wurde der Energieverbrauch singender Vögel mithilfe von hochauflösenden respirometrischen Messungen bestimmt. Dazu wurde der Sauerstoffverbrauch singender Vogelmännchen in Abhängigkeit von der Lautstärke ihres Gesangs gemessen. Überraschenderweise konnten keine bedeutsamen metabolischen Kosten nachgewiesen werden, denn selbst extreme Erhöhungen der Gesangslautstärke um über 20 dB hatten nur einen minimalen Anstieg des Sauerstoffverbrauchs zur Folge. Diese Befunde zeigen, dass das Singen mit hoher Lautstärke nicht durch hohen Energieverbrauch begrenzt wird.

Wahrscheinlich singen nicht alle Männchen laut, da lauter Gesang durch soziale Aggression beschränkt wird. Territoriale Männchen reagieren deutlich aggressiver auf lauten als auf leisen Gesang (Abb. 2). Weibchen wählen mit ihrer Vorliebe für lauten Gesang also Männchen in guter körperlicher Verfassung aus, die gleichzeitig der territorialen Aggression von anderen, konkurrierenden Männchen standhalten können. Das bedeutet, dass die Lautstärke die Qualität der Sänger anzeigt und Weibchen diese Information für ihre Partnerwahl nutzen. Die Zuverlässigkeit des Signals wird dabei durch die Kosten, die indirekt mit der Produktion verbunden sind, aufrechterhalten: Möglicherweise können es sich nur Vogelmännchen in guter körperlicher Kondition leisten, starke aggressive Reaktionen von anderen Männchen zu provozieren.

Wenn die Gesangslautstärke so als ehrliches Signal für die Qualität eines Männchens sexuell selektiert wird, sollte die reproduktive Fitness eines Männchens mit der Lautstärke variieren. Männchen mit lautem Gesang sollten also mehr Nachkommen zeugen als Tiere, die leise singen. Dieser Frage gehen die Seewiesener Forscher derzeit mithilfe von molekulargenetischen Methoden nach.

Anpassungen an Störungen durch Lärm

Damit der Vogelgesang seine kommunikative Funktion erfüllen kann, muss der Schall der Vogelstimme den Adressaten, also rivalisierende Männchen oder paarungswillige Weibchen, überhaupt erst einmal erreichen. Die Schallübertragung wird maßgeblich durch die akustischen Eigenschaften des Habitats beeinflusst, in dem die Tiere kommunizieren. Deshalb wird der Vogelgesang durch mikroevolutive Prozesse an die Habitat-Akustik angepasst [5]. Das führt dazu, dass auf der einen Seite die sexuelle Selektion der Paarungssignale durch die Erfordernisse der Schallübertragung beschränkt wird. Auf der anderen Seite können Signalparameter, die einer starken positiven sexuellen Selektion unterliegen, nur dann zur Verbesserung der Signalübertragung benutzt werden, wenn die Anpassung der reproduktiven Funktion des Signals nicht zuwiderläuft. Das bedeutet, ein Tier kann seine Paarungssignale nur dann verändern, um sie an die akustischen Gegebenheiten des Lebensraums anzupassen, wenn die Anpassung nicht dazu führt, dass das Signal von potentiellen Paarungspartnern nicht mehr erkannt wird.

Der Austausch von akustischen Signalen wird besonders durch Rauschen im Übertragungskanal beeinträchtigt. Mit anderen Worten: Akustische Kommunikation wird durch Lärm gestört. Im Zuge der bereits erwähnten Signalanpassung an die Habitat-Akustik passen Vögel ihren Gesang auch an Störungen durch Lärm an, und zwar sowohl langfristig durch evolutive Prozesse als auch kurzfristig durch die Plastizität der Signale [6]. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts sind viele Habitate einer zunehmenden Lärmbelastung durch menschliche Aktivitäten ausgesetzt. Vor allem Verkehrslärm in Verbindung mit der stetig ansteigenden Urbanisierung stellt die Kommunikation vieler Wildtiere vor Probleme. Um trotz des Lärms ihre Artgenossen erreichen zu können, singen Vögel in der Nähe von Straßen und Bahntrassen lauter [7]. Dem sind allerdings Grenzen gesetzt, weil Vögel nicht beliebig laut singen können. Wird die Lärmintensität zu hoch, kann die akustische Maskierung nicht mehr durch noch lauteres Singen kompensiert werden, und die Vogelstimme geht im Straßenlärm unter (Abb. 3).

Singvögel in Städten singen meist hochfrequenter als ihre Artgenossen in Wäldern oder auf dem Land [8]. Einige Wissenschaftler vermuten, dass dies eine direkte Anpassung an den tieffrequenten Verkehrslärm in der Stadt ist. Die Intensität von Verkehrslärm nimmt mit steigender Frequenz ab, sodass Gesang in höheren Tonlagen weniger stark vom Lärm überdeckt wird. Allerdings sind die Frequenzunterschiede zwischen Stadt- und Waldgesang relativ klein, in den meisten Fällen betragen sie nur 100 - 200 Hz. Um die potenziellen Vorteile von hochfrequentem Stadtgesang zu untersuchen, haben die Seewiesener Forscher mithilfe von mathematischen Modellen die Kommunikationsdistanz von verschiedenen Vogelarten in Städten und Wäldern berechnet [9]. Die Kommunikationsdistanz ist die maximale Distanz, über die ein Artgenosse ein Gesangsmuster noch erkennen kann. Die Modelle zeigen, dass der hochfrequente Stadtgesang nur geringfügige Vorteile für die Signalübertragung in urbanen Habitaten hat. Möglicherweise ist die höhere Stimmlage der Stadtvögel nur eine Begleiterscheinung der erhöhten Gesangslautstärke im Lärm [5]. Die ursächlichen Zusammenhänge zwischen Gesangsfrequenz und -lautstärke sowie Anpassung an Umweltlärm werden die Wissenschaftler der Forschungsgruppe Kommunikation und Sozialverhalten in Zukunft untersuchen. Über die Grundlagenforschung hinaus sind Erkenntnisse über die Mechanismen und Grenzen der Anpassung von Wildtieren an urbane Lebensräume auch für den Naturschutz relevant. Forschungen zum Einfluss von Lärm auf Tiere sind wichtig, um Entscheidungsträger der Politik sowohl im Hinblick auf Fragen des Artenschutzes zu informieren als auch im Zusammenhang mit der Erstellung von allgemeinen Aktionsplänen zur Lärmverminderung [10].

Wissenschaftliche Relevanz des Projektes

Das neu erworbene Wissen des gesamten Projekts liefert wichtige Erkenntnisse über die natürliche und sexuelle Selektion von biologischen Signalen. Die Verhaltensökologie untersucht die evolutiven und ökologischen Aspekte des Verhaltens und versucht zu verstehen, wie Lebewesen ihr Verhalten an die Umwelt anpassen. Durch das Zusammenführen von physiologischen, verhaltensbiologischen und ökologischen Daten ist es den Forschern in Seewiesen gelungen, am Beispiel des Vogelgesangs zu zeigen, wie sexuell selektierte Signale an die abiotische und biotische Umwelt angepasst werden können. Dabei zeichnet sich ein komplexes Zusammenspiel aus sexueller und natürlicher Selektion ab, in dem die physikalischen Notwendigkeiten der Signalübertragung genauso zur Evolution von Einsatz und Struktur von Signalen beitragen wie das verlässliche Anzeigen von Qualität im Rahmen von Partnerwahl und Konkurrenz unter Männchen.

1.
M. Ritschard, K. Riebel, H. Brumm:
Female zebra finches prefer high-amplitude song.
Animal Behaviour 79, 877 - 883 (2010).
2.
H. Brumm:
Song amplitude and body size in birds.
Behavioral Ecology and Sociobiology 63, 1157 - 1165 (2009).
3.
M. Ritschard, S. Laucht, J. Dale, H. Brumm:
Enhanced testosterone levels affect singing motivation but not song structure and amplitude in Bengalese finches.
Physiology & Behaviour 102, 30 - 35 (2011).
4.
H. Brumm, S. A. Zollinger, P. J. B. Slater:
Developmental stress affects song learning but not song complexity and vocal amplitude in zebra finches.
Behavioral Ecology and Sociobiology 63, 1387 - 1395 (2009).
5.
H. Brumm, M. Naguib:
Environmental acoustics and the evolution of bird song.
Advances in the Study of Behaviour 40, 1 - 33 (2009).
6.
H. Brumm, S. Slabbekoorn:
Acoustic communication in noise.
Advances in the Study of Behavior 35, 151- 209 (2005).
7.
H. Brumm:
The impact of environmental noise on song amplitude in a territorial bird.
Journal of Animal Ecology 73, 434 - 440 (2004).
8.
E. Nemeth, H. Brumm:
Blackbirds sing higher pitched songs in cities: adaptation to habitat acoustics or side effect of urbanization?
Animal Behaviour 78, 637 - 641 (2009).
9.
E. Nemeth, H. Brumm:
Birds and anthropogenic noise: are urban songs adaptive?
American Naturalist 176, 465-475 (2010).
10.
H. Brumm:
Anthropogenic Noise: Implications for Conservation.
In: Breed M.D. and Moore J., (eds.) Encyclopedia of Animal Behavior, volume 1, pp. 89-93 Oxford: Academic Press (2010).


Zur Redakteursansicht