Wetteifernde Weibchen und fürsorgliche Männchen - Geschlechterrollentausch beim Afrikanischen Grillkuckuck

Forschungsbericht (importiert) 2003 - Max-Planck-Institut für Ornithologie

Autoren
Goymann, Wolfgang
Abteilungen
Biologische Rhythmen und Verhalten (Prof. Dr. Bart Kempenaers)
MPI für Ornithologie, Seewiesen
Zusammenfassung
Bei den meisten Tierarten wird die Brutpflege von den Weibchen geleistet, während die Männchen Ressourcen verteidigen und oft zusätzliche Weibchen zu gewinnen suchen. Bei einem sehr geringen Prozentsatz aller brutpflegenden Arten sind jedoch die Geschlechterrollen vertauscht: Die Männchen übernehmen die Brutpflege, die Weibchen verteidigen Ressourcen und verpaaren sich mit mehreren Männchen. Der Afrikanische Grillkuckuck ist die einzige bekannte Vogelart, die Nesthockertum mit diesem als ‚klassische Polyandrie’ bezeichneten Paarungssystem verbindet. Diese Vogelart steht im Mittelpunkt eines integrativen Forschungsansatzes, der mechanistische und evolutionäre Fragestellungen kombiniert. Dabei werden vor allem drei Themenschwerpunkte verfolgt: (1) Wie wird territorial aggressives Verhalten bei weiblichen Vertebraten gesteuert und was löst Fürsorgeverhalten beim Männchen aus? (2) Wie sichern männliche Grillkuckucke ihre genetische Vaterschaft und wieviel Energie und Zeit investieren sie in die jeweilige Brut? (3) Wie kam es zur Evolution von klassischer Polyandrie beim Grillkuckuck?

Im Tierreich leisten in der Regel vor allem die Weibchen Brutpflege, während Männchen zusätzliche Weibchen zu gewinnen suchen. Neuere theoretische Überlegungen machen zwei Faktoren für die Weibchenlastigkeit der Brutpflege verantwortlich: erstens die größere Gewissheit der Weibchen über ihre tatsächliche genetische Elternschaft und zweitens die größere Varianz des Fortpflanzungserfolges von Männchen.

Da die Befruchtung meist innerhalb des weiblichen Körpers erfolgt, haben Weibchen in den meisten Fällen die hundertprozentige Gewissheit, die genetischen Mütter ihres Nachwuchses zu sein. Daraus folgt, dass sie nicht nur die Kosten des energetischen und zeitlichen Aufwandes für die Brutpflege tragen, sondern auch den vollen genetischen Nutzen dafür haben. Die Männchen der meisten Tierarten hingegen können sich ihrer genetischen Vaterschaft weitaus weniger sicher sein. Brutpflegende Männchen müssen ebensoviel Energie und Zeit in die Brutpflege investieren, ihr genetischer Nutzen bleibt jedoch ungewiss.
Die maximale Fortpflanzungsrate eines Weibchens wird durch die Zahl nährstoffreicher Eizellen begrenzt, die es im Laufe einer Brutsaison produzieren kann. Männchen hingegen können eine nahezu unbegrenzte Anzahl an nährstoffarmen Spermien produzieren. Ihre maximale Fortpflanzungsrate wird daher theoretisch nur durch die Zahl von Eizellen bestimmt, die sie im Laufe einer Brutsaison befruchten können. Aufgrund dieser Asymmetrie zwischen Männchen und Weibchen entsteht eine hohe Nachfrage (Spermien) nach einem sehr begrenzten Angebot (Eizellen). Dies führt zu starker Konkurrenz der Männchen um die Weibchen. Während also die Eizellen der meisten Weibchen befruchtet werden, hat ein großer Anteil der Männchen keine Gelegenheit, mit Weibchen zu kopulieren. Der Anteil der von den Weibchen bevorzugten "sexy" Männchen stellt eine mehr oder weniger kleine Gruppe der Gesamtpopulation aller Männchen dar. Da Weibchen normalerweise ähnliche Präferenzen zeigen, ist der Fortpflanzungserfolg der bevorzugten Männchen größer, wenn sie sich mit weiteren Weibchen verpaaren, als wenn sie die Brut nur eines Weibchens versorgen würden.

Klassische Polyandrie

Bei den meisten Vogelarten betreiben entweder nur die Weibchen oder beide Eltern Brutpflege. Letzteres kommt vor allem dann vor, wenn ein Elternteil allein nicht in der Lage ist, die Nachkommen großzuziehen. Bei einem sehr geringen Prozentsatz aller Vogelarten (< 1 Prozent) übernimmt jedoch das Männchen allein die Brutpflege, was in der Fachwelt als ‚klassisch polyandrisch’ bezeichnet wird. Das ist im Hinblick auf die oben dargelegten Gründe ein sehr erstaunliches und erklärungsbedürftiges Verhalten.
Vogelarten mit ausschließlicher väterlicher Brutpflege sind zum Großteil Nestflüchter mit kleinen Gelegen. Nestflüchter werden vom Elternvogel nur zu den Nahrungsressourcen geleitet, das heißt der Elternvogel kann seine eigene Nahrungsaufnahme mit der der Jungen verbinden. Auf diese Weise entstehen dem Elternvogel relativ geringfügige Kosten durch die Brutpflege. Kleine Gelege und wenige Junge, die sofort selbstständig ihr Futter suchen, galten demnach als Voraussetzung für die Entwicklung eines rein väterlichen Brutpflegesystems.

Der Afrikanische Grillkuckuck

Bei einer Vogelart, dem Afrikanischen Grillkuckuck Centropus grillii (Abb. 1) sind diese Voraussetzungen allerdings nicht gegeben, denn diese Vögel haben zwar ein klassisch polyandrisches Paarungssystem, sind aber Nesthocker mit einer zum Teil größeren Anzahl an Jungen. Der Grillkuckuck gehört zur Gattung der Spornkuckucke (Centropodinae), die im Gegensatz zu unserem heimischen Kuckuck keine Brutparasiten sind: Bei Spornkuckucken versorgen in der Regel beide Eltern den Nachwuchs.

Der Grillkuckuck brütet im feuchten Grasland Afrikas und unterscheidet sich von anderen Spornkuckucken durch einen extrem ausgeprägten Größendimorphismus: Die Weibchen sind 40 Prozent größer und 70 Prozent schwerer als die Männchen. Außerdem kommt es zum kompletten Wechsel der Geschlechterrollen beim Territorial- und Brutverhalten. Zwar bilden sowohl die Weibchen als auch die Männchen ein auffälliges schwarz-braunes Brutgefieder aus, Konflikte um Territorien werden aber nur zwischen den Weibchen ausgetragen. Sie singen zur Brutzeit und verpaaren sich mit mehreren Männchen gleichzeitig. Die Männchen hingegen sind monogam und singen kaum. Dafür übernehmen sie vom Nestbau bis zur Fütterung der Jungvögel die komplette Aufzucht des Nachwuchses (Abb. 2). Mit dieser Eigenart ist der Grillkuckuck die einzige bisher bekannte Vogelart mit alleiniger väterlicher Brutpflege und Nesthockertum. Das ist bemerkenswert, weil die Aufzucht von Nesthockern als besonders energie- und zeitaufwändig gilt.
Die Hoden des Grillkuckucks stellen eine weitere Besonderheit dar. Generell bilden Vögel, wie andere Vertebraten auch, paarige Hoden aus. Beim Grillkuckuck findet man jedoch nur einen einzigen, und zwar den rechten Hoden. Der linke Hoden ist vollständig zurückgebildet. Die Hoden produzieren Testosteron, ein Sexualhormon, das bei männlichen Vögeln Sexual- und Territorialverhalten stimuliert, das Brutpflegeverhalten hingegen hemmt. Es wurde daher spekuliert, dass die Rückbildung eines Hodens zur Reduktion des zirkulierenden Testosteronspiegels führt und als Anpassung an die rein männliche Brutpflege aufgefasst werden kann.

Schwerpunkte des Grillkuckucksprojekts

Im Grillkuckucksprojekt versuchen die Wissenschaftler am MPI für Ornithologie, mechanistische und evolutionäre Fragestellungen zu kombinieren. Gegenwärtig gehen Wolfgang Goymann und seine Mitarbeiter drei Themenschwerpunkten nach, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen: (1) Wie wird territorial aggressives Verhalten bei weiblichen Vertebraten gesteuert und was löst Fürsorgeverhalten beim Männchen aus? (2) Wie sichern männliche Grillkuckucke ihre genetische Vaterschaft und wieviel Zeit und Energie investieren sie in die jeweilige Brut? (3) Wie kam es zur Evolution von klassischer Polyandrie beim Grillkuckuck?

Hormonelle Steuerung von territorialer Aggression beim Weibchen

Der Grillkuckuck ist ein gutes Modellsystem, um unser begrenztes Wissen über die neurohormonalen Grundlagen weiblicher Aggression und männlichen Fürsorgeverhaltens zu erweitern. Vor Brutbeginn bilden Männchen vieler Vogelarten ein auffälliges Brutgefieder aus, verhalten sich aggressiv, singen und konkurrieren um Brutplätze und Weibchen. Diese geschlechtsspezifischen Veränderungen in Morphologie und Verhalten werden von Androgenen, den männlichen Sexualhormonen, gesteuert. Beim Grillkuckuck charakterisieren diese typisch männlichen Verhaltensweisen jedoch das Verhalten der Weibchen. Werden diese Verhaltensweisen bei Weibchen auch von Androgenen gesteuert? Geht der Tausch der Geschlechterrollen gar mit einer Umkehr der Androgenkonzentrationen einher? Die bisher durchgeführten Untersuchungen in Andechs zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Die Androgenwerte der Grillkuckucksweibchen fallen nicht höher aus als bei anderen Vogelarten mit den typischen Geschlechterrollen. Verständlicherweise, denn hohe Konzentrationen von Androgenen im Blut sind mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mit der Fortpflanzungsphysiologie der Weibchen vereinbar. Dennoch könnten Androgene bei der Steuerung des Verhaltens eine Rolle spielen. Da Androgene ihre Wirkung vor allem über Metabolisierung zu Östrogenen und Bindung an intrazelluläre Rezeptoren entfalten, könnte bei Weibchen die Anzahl der metabolischen Enzyme und der Rezeptoren in bestimmten Gehirnarealen erhöht sein. Dies würde es beispielsweise ermöglichen, nur bestimmte männliche Verhaltensweisen (zum Beispiel Gesang oder territoriale Aggression) anzunehmen, andere Verhaltensweisen (zum Beispiel Kopulationsstellung) jedoch von solchen Effekten auszuklammern. Zurzeit untersuchen Wolfgang Goymann und sein Team mit neurohistochemischen Methoden, ob der Enzymmetabolismus erhöht und die Zahl der Rezeptoren gesteigert sein kann. Feldexperimente mit Weibchen, bei denen die Wirkung von Androgenen und Östrogenen pharmakologisch unterbunden wurde, legen jedoch nahe, dass bei Weibchen andere Mechanismen für die Steuerung territorialer Aggression verantwortlich sind als bei Männchen.

Androgene beim Männchen und genetische Vaterschaft

Die Androgenwerte männlicher Grillkuckucke sind viel höher als bei tropischen Vogelarten üblich, und das obwohl sie nur einen einzigen Hoden besitzen. Die Androgenkonzentrationen erreichen bei Männchen ihr Maximum kurz vor der Eiablage der Weibchen. In diesem Zeitraum weichen die Männchen den Weibchen nicht von der Seite und versuchen andere Männchen, die sich dem Weibchen nähern, zu vertreiben. Diese "Partnerbewachung" ist androgen-gesteuert und dient höchstwahrscheinlich der Sicherung der genetischen Vaterschaft. Sobald die Männchen mit der Brutpflege beginnen, nehmen ihre Androgenwerte ab. Das entspricht der Erwartung, da hohe Androgenkonzentrationen nicht mit der Brutpflege vereinbar sind.

Ob die "Partnerbewachung" eine effektive Sicherung der genetischen Vaterschaft zur Folge hat, ist unklar. Genetische Vaterschaftstests stehen noch aus; die entsprechenden Marker werden derzeit entwickelt. Verhaltensbeobachtungen zeigen jedoch, dass die Männchen, obwohl sie ihre Partnerin bewachen, ein großes Risiko eingehen: Die Weibchen kopulieren oft innerhalb weniger Stunden mit verschiedenen Männchen.

Evolution klassischer Polyandrie

Ursprünglich haben bei Spornkuckucken beide Eltern im gleichen Umfang Brutpflege betrieben. Zwei Gründe könnten zu einer proportional höheren Beteiligung der Männchen geführt haben. Erstens haben Spornkuckucksweibchen ein Problem damit, in kurzer Zeit genügend Ressourcen, die zur Eiproduktion nötig sind, anzulegen. Zweitens sind die Nester von Spornkuckucken einem hohen Feinddruck ausgesetzt. Bei vorwiegend väterlicher Bebrütung der Eier (was für alle Spornkuckucke typisch zu sein scheint) gewinnen die Weibchen Zeit zum Nahrungserwerb und können bei Ressourcenknappheit oder Nestverlust schneller ein Gelege vervollständigen beziehungsweise ersetzen (Abb. 3).

Der Grillkuckuck hat sich im Gegensatz zu anderen Spornkuckucken auf eine saisonal im Übermaß vorhandene Nahrungsquelle, nämlich auf Heuschrecken spezialisiert. Dies befreit die Weibchen einerseits von der Ressourcenknappheit für die Eiproduktion, das heißt sie können sehr schnell Ressourcen aufbauen, um in kurzer Zeitabfolge viele Eier zu legen. Zum anderen ergibt sich daraus die Möglichkeit, dass ein Elternteil die Jungen allein in einem verhältnismäßig kleinen Nahrungsterritorium versorgen kann. Die Aneinanderreihung solch kleiner Nahrungsterritorien führt zu einer hohen Brutdichte. Diese hohe Brutdichte ermöglicht es dem nicht-fürsorgenden Elternvogel eine Fläche zu kontrollieren, die mehrere kleine Nahrungsterritorien des brutpflegenden Elternteils umfasst. Da ein Elternteil für die Aufzucht der Jungen ausreicht und das Männchen ohnehin schon die Bebrütung der Eier übernommen hat, liegt es nahe, dass wiederum das Männchen für die weitere Versorgung der Jungtiere aufkommt. Fällt das Nest während der Bebrütungsphase keinem Nesträuber zum Opfer, so eröffnet sich für das Weibchen die Möglichkeit, ein weiteres Gelege mit einem zusätzlichen Männchen zu produzieren. Da ein Weibchen mehrere kleine Nahrungsterritorien monopolisieren kann, ermöglicht dies ein klassisch polyandrisches Brutsystem väterlicher Brutpflege und Ressourcenverteidigung durch das Weibchen. Diese Hypothese testen die Forscher gegenwärtig in einer Feldstudie.

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