Individuelles Sexualverhalten: die (manchmal) entscheidende Rolle der Mütter

Forschungsbericht (importiert) 2004 - Max-Planck-Institut für Ornithologie

Autoren
Forstmeier, Wolfgang
Abteilungen
Verhaltensökologie und evolutionäre Genetik (Kempenaers) (Prof. Dr. Bart Kempenaers)
MPI für Ornithologie, Seewiesen
Zusammenfassung
Zebrafinken zeigen bemerkenswerte Unterschiede in ihrem individuellen Sexualverhalten. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Ornithologie untersuchen, ob Mütter in Abhängigkeit von ihrer sozialen Umwelt die Fortpflanzungsstrategien der eigenen Nachkommen gezielt vorprogrammieren, um so deren Anpassung an das Paarungssystem zu optimieren.

Individuen derselben Art und desselben Geschlechts unterscheiden sich oftmals dramatisch in ihren Eigenschaften und Verhaltensweisen. Diese Individualität, die uns vom Menschen her als Variation in der Persönlichkeit geläufig ist, stößt nun auch bei Tierforschern auf wachsendes Interesse. Der Zebrafink (Taeniopygia guttata; Abb. 1) dient dabei den Forschern am MPI für Ornithologie in Seewiesen als Modellorganismus. Der Grund für die Wahl dieses Untersuchungsobjekts liegt in der hohen Vermehrungsrate, die der australische Prachtfink unter „Laborbedingungen“ erreicht. So lassen sich im Laufe weniger Jahre mehrere Generationen von Zebrafinken heranzüchten, was den Forschern wertvolle Einblicke in die Vererbung von Persönlichkeitsunterschieden erlaubt.

Szenen eines Annäherungsversuchs: Ein männlicher Zebrafink (rechts im Bild) balzt ein Weibchen an. Das Weibchen reagiert mit Schnabelzittern und Schnabelfechten.

Persönlichkeitsunterschiede beim Zebrafinken

Entlässt man mehrere individuell kenntliche Männchen und Weibchen aus der Einzelkäfighaltung in eine gemeinschaftliche Voliere, so fallen die Verhaltensunterschiede sofort ins Auge: Manche Männchen sind ihren Artgenossen gegenüber äußerst aggressiv, während andere einen eher friedlichen Charakter besitzen. Einige Männchen beginnen sogleich und mit großer Ausdauer, Weibchen anzubalzen, während andere sich eher scheu verhalten. Unter den Weibchen wiederum gibt es solche, die sofort bereit sind, mit einem oder auch mehreren Männchen zu kopulieren, während andere alle Annäherungsversuche strikt abwehren. Bei der Wiederholung solcher Testsituationen ist festzustellen, dass die Individuen recht unabhängig vom Verhalten ihrer Artgenossen immer wieder den gleichen Verhaltenstyp zeigen. Es drängen sich also die Fragen auf: Welche Mechanismen bestimmen das individuelle Sexualverhalten, und was ist der evolutionäre Anpassungswert dieser Individualität?

Unterschiede im Sexualverhalten: Gene oder Umwelt?

Welche Faktoren für die Ausprägung solcher individuellen Unterschiede im Sexualverhalten verantwortlich sind, ist bislang nur bei wenigen Tierarten untersucht worden. Selbst bei relativ leicht zu untersuchenden Tiergruppen wie Insekten oder Fischen ist das Wissen über die Vererbung der Sexualität noch sehr begrenzt. Ähnliches gilt für den Menschen, vermutlich weil das Sexualverhalten nie als Gegenstand der Persönlichkeitsforschung angesehen wurde. Eine einzige Untersuchung an australischen Zwillingen fand jedoch eine starke Erblichkeit für weibliche, aber nicht für männliche Promiskuität [1].

Zur Durchführung quantitativ genetischer Analysen werden sehr große Stichproben benötigt, was bei vielen Vogelarten, insbesondere bei Freilanduntersuchungen, kaum zu erreichen ist. Dennoch bieten Vögel einen besonderen Reiz: Sie stehen den Säugern hinsichtlich ihrer Verhaltenskomplexität sehr nahe, bei ihnen findet jedoch die Embryonalentwicklung im Ei und damit in einem von der Mutter getrennten Raum statt. Dies ermöglicht, die Eier an Zieheltern weiterzugeben (experimentelles Fostern) und so die verhaltensbestimmenden Faktoren weiter aufzutrennen als dies bei Säugern möglich wäre. Es lassen sich unterscheiden: additive genetische Effekte, genetische maternale (d. h. mütterliche) Effekte, nicht-genetische maternale Effekte, Umwelteffekte während der Bebrütungszeit und Umwelteffekte während der Nestlings- und Juvenilphase.

Gene, maternale Effekte oder frühe Umwelt?

Erste Untersuchungen am Zebrafinken haben nun gezeigt, dass die Unterschiede in weiblicher Kopulationsbereitschaft etwa zur Hälfte genetisch vererbt sind (Abb. 2). Weder maternale Effekte (Eikomponenten oder Bebrütung) noch frühe Umwelt (Aufzucht oder Geschwister) scheinen hierauf einen messbaren Einfluss zu haben. Im Gegensatz dazu scheint die Variation in männlicher Aggressivität und männlichem Sexualtrieb vorrangig von der Mutter bestimmt zu sein (Abb. 2). Manche Mütter erzeugen stets aggressive Söhne, andere erzeugen Söhne mit starkem Sexualtrieb und wieder andere ganz zurückhaltende. Dies hängt jedoch weniger von den Genen der Mütter ab als von noch unbekannten Umweltfaktoren, welche die Mütter veranlassen, diese Effekte auszuüben [2]. Der wahrscheinlichste Vermittlungsweg erfolgt über noch unbekannte, nicht-genetische Eikomponenten. Derzeit erscheint es denkbar, dass diese Effekte von Sexualhormonen hervorgerufen werden, welche Mütter ihren Nachkommen im Eidotter mitgeben.

Variation im Sexualverhalten der ersten Zuchtgeneration (ca. 200 Individuen), aufgesplittet nach den Ursachen. Genetische Erblichkeit und maternale (mütterliche) Effekte spielen eine erhebliche Rolle bei der Determinierung des Verhaltens, während die ziehelterliche (Foster) Umwelt keinen messbaren Einfluss hat. Angezeigt ist der Prozentanteil der Gesamtvariation, der durch die einzelnen Faktoren erklärt wird. Statistische Signifikanzen: n.s.: nicht signifikant verschieden von null, * : p<0.05, ** : p<0.01, *** : p=0.005.
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