Freier Weg zum Schaltplan des Gehirns

Färbemethode rückt die Rekonstruktion aller Nervenzellen und ihrer Verbindungen in greifbare Nähe

13. April 2015

Lernen, Denken, Fühlen, aber auch viele neurologische Krankheiten haben ihren Ursprung in den Verbindungen zwischen Nervenzellen. Die Kenntnis darüber, welche Nervenzelle wo mit welchen Zellen verbunden ist, würde unser Wissen über die Funktion des Gehirns deutlich voranbringen. Wissenschaftler träumen daher schon lange davon, das Konnektom, den Schaltplan des Gehirns, zu entschlüsseln. Mit der Entwicklung einer speziellen Färbemethode schließen Winfried Denk und Shawn Mikula vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried bei München nun eine der letzten methodischen Lücken: Die Kartierung eines gesamten Mäusegehirns scheint möglich. Ein Meilenstein-Projekt, bei dem allein die Datenerhebung mehrere Jahre dauern wird und auch die Analyse der zirka 40 Petabyte an Daten noch nicht vollständig geklärt ist.

Seit Wissenschaftler im späten 19. Jahrhundert die ersten Nervenzellen unter dem Mikroskop betrachteten, hat sich viel getan. Heute sind viele Fragen zur Anatomie, Chemie, Physiologie und Zellbiologie beantwortet – sowohl im gesunden als auch im erkrankten Gehirn. Wie aus der Aktivität einzelner Zellen jedoch unser Denken und Fühlen entsteht und was passiert, wenn Zellen zum Beispiel bei neurodegenerativen Erkrankungen aus dem Zellverband verschwinden, ist nach wie vor unklar. Um diese Dinge zu verstehen, müssen wir das Konnektom kennen – alle Nervenzellen und ihre Verbindungen.

Das menschliche Konnektom enthält fast eine Billiarde (1015) Zell-Verbindungen. Diese zu kartieren ist nach wie vor reines Wunschdenken. Die Entwicklung des Serienschnitt-Raster-Elektronenmikroskops und anderer Aufnahme- und Analysemethoden, lassen das Konnektom des Mäusegehirns, das 3000-mal kleiner als das des Menschen ist, nun jedoch in greifbare Nähe rücken. "Ein entscheidender, noch fehlender Schritt war die Probenpräparation", fasst Shawn Mikula das Projekt zusammen. In den vergangenen Jahren hat er an der gleichmäßigen und zerstörungsfreien Färbung eines gesamten Mäusegehirns für das Elektronenmikroskop gearbeitet. Zuverlässig konnten bisherige Färbemethoden nur relativ kleine Gewebeproben färben. Das Zerteilen des Gehirns in kleine Stücke verhindert jedoch ihr späteres Zusammensetzen zu einem Gesamtbild. Methoden, die eine Färbung des gesamten Gehirns zum Ziel hatten, färbten das Gehirn entweder zu schwach und ungleichmäßig, oder sie  zerstörten Hirnstrukturen. Eine Rekonstruktion aller Nervenzellverbindungen blieb daher unmöglich.

Shawn Mikula und Winfried Denk stellen nun ihre BROPA-Methode zur Färbung eines gesamten Gehirns vor. Die Abkürzung steht für eine aufwändige Abfolge von Färbe- und Waschschritten, darunter mit Osmium- und Pyrogallol-Lösungen. Die gesamte Färbung und Vorbereitung dauert rund vier Wochen. "Das war zum Teil ganz schön nervig, denn man weiß erst am Ende dieser Zeit, ob eine Änderung im Färbeverfahren gut oder schlecht war", erklärt Shawn Mikula. Doch nach vielem Warten und Verfeinern sind die beiden Wissenschaftler mit ihrer neuen Methode nun zufrieden: "Unsere Ergebnisse zeigen, dass in einem BROPA-gefärbten Mäusegehirn mit dem Serienschnitt-Raster-Elektronenmikroskop zuverlässig einzelne Nervenzellfortsätze verfolgt und Synapsen erkannt werden können", so Mikula. Ein wichtiger Erfolg für das Team, denn das Serienschnitt-Raster-Elektronenmikroskop erfand Winfried Denk vor mehr als zehn Jahren mit diesem Ziel vor Augen.

"Wir sind nun unserem Ziel, ein gesamtes Mäusegehirn mit allen Zellen und Verbindungen unter dem Elektronenmikroskop aufzunehmen und am Computer wieder zusammenzusetzen, einen wichtigen Schritt näher gekommen", erklärt Winfried Denk, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Sobald die neuste Gerätegeneration geliefert und getestet ist, was mit über einem Jahr veranschlagt ist, wollen die Wissenschaftler das Projekt starten. "Ich schätze, dass allein die Datenerhebung rund zweieinhalb Jahre dauern wird", so Denk. In dieser Zeit werden zirka 40 Petabyte Daten entstehen. "Die Speicherung kriegen wir schon hin, an der Analyse arbeiten wir noch", fügt Mikula hinzu. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass automatisierte Computerprogramme BROPA-gefärbte Synapsen und Zellkörper recht zuverlässig erkennen können. Somit bleibt "nur" noch ihre Zuordnung zu den vielen Kilometern vorhandener Nervenfasern. "Ich bin zuversichtlich, dass wir auch das lösen können", sagt Winfried Denk. Vor dem Hintergrund der Entschlüsselung des menschlichen Genoms scheint dies tatsächlich nicht unwahrscheinlich: Als Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts die ersten DNA-Abschnitte entschlüsselt wurden, schien die Sequenzierung eines gesamten menschlichen Genoms anfänglich unmöglich.

SM/HR

Hintergrund: Das Serienschnitt-Raster-Elektronenmikroskop

Bei diesem automatisierten Prozess tastet ein Elektronenmikroskop die Oberfläche eines Gewebestücks ab; das gewonnene Bild wird gespeichert. Als nächstes schneidet das Gerät eine ultradünne Gewebescheibe ab und erfasst dann die darunter liegende Gewebeebene. Schnitt für Schnitt werden so alle Strukturen in dem vorliegenden Gewebe aufgenommen. Abschließend setzt ein Programm alle Bilder am Computer wieder zu der ursprünglichen dreidimensionalen Struktur zusammen. [Veröffentlicht in PLoS Biology 2, 2004]

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht